LIGEIA - Ein erotischer Horrorthriller (German Edition)
»Nein«, flehte er abermals, während er das Metallstück in seiner Hand wendete und die Worte anstarrte, die eine künstliche, gezackte Bruchstelle entlang der Mitte teilte. Es war die Hälfte einer Medaille. Evan starrte in die leeren Augenhöhlen des Totenschädels, öffnete den Reißverschluss seines Neoprenanzugs einen Fingerbreit und zog die silberne Kette heraus, die er um den Hals trug. Anschließend legte er die gezackte Kante seines Glücksbringers gegen die Bruchstelle des Schmuckstücks, das das Knochengerippe trug. Sie passten nahtlos zusammen. Die Aufschrift war unschwer zu entziffern: WIE DER VATER, SO DER SOHN.
Tränen fluteten ihm in die Augen, und ein gutturaler, gequälter Aufschrei löste sich aus seiner Kehle – entsetzt, ungläubig und durchtränkt von Wut und einem runden Dutzend weiterer unbestimmbarer Emotionen, die allesamt auf einen furchtbaren, brennenden Schmerz hinausliefen. »Oh mein Gott, Bill«, flüsterte er. »Sie hat auch Josh umgebracht. Er ist nicht ertrunken. Sie hat ihn zu sich geholt.«
»Bist du sicher, dass er es ist?« Bills Stimme klang sehr leise. Gleichzeitig legte er ihm die Hand auf die Schulter und versuchte, seinem Freund dringend benötigten Halt zu geben.
»Wie viele Leute tragen die andere Hälfte meines Talismans um den Hals und sind in der Brandung der Bucht von Delilah ertrunken?«, erwiderte Evan bitter. Er deutete auf die grün-verkrusteten Überreste der Badehose, die das Skelett um die Taille trug. Ein blauer, schwach rot gestreifter Stofffetzen schmiegte sich an die Knochen des Leichnams. »Die sieht genauso aus wie seine Badehose. Ich habe ihn immer damit aufgezogen, dass nur noch ein Superman-S auf seiner Brust fehlt.«
»Aber er ist doch am helllichten Tag surfen gegangen«, gab Bill zu bedenken.
»Dann hat sie eben unter den Wellen darauf gelauert, dass jemand stürzt«, meinte Evan. Erneut kamen ihm die Tränen, und einen Augenblick lang sah er nichts mehr, nur noch die Schatten seiner Wut. »Sie hat mir alles genommen, was mir jemals etwas bedeutete. Und ich habe sie auch noch durchgevögelt wie ein gottverdammter Schwachkopf.«
»Wahrscheinlich weiß sie überhaupt nicht, dass Josh dein Sohn war«, gab Bill zu bedenken.
»Das spielt doch überhaupt keine Rolle«, schrie Evan, verdrängte mit beiden Händen das Wasser und hielt auf die Kammer zu, in der Ligeia schlief, wie er wusste. Dort hatten sie sich geliebt. Bei dem Gedanken lief es ihm kalt über den Rücken und er kämpfte gegen einen Brechreiz an.
»Ist deine Harpune bereit?«, fragte er über Funk leise an.
»Klar, und deine?«, wollte Bill wissen.
Gemeinsam schwammen sie tiefer in die Finsternis des verfallenen Schiffes hinein.
Evan geleitete Bill an verrotteten Balken vorbei, die einst zum Laderaum gehört haben mochten, bis zu der Stelle, an der die Sirene ihr Quartier bezogen hatte. Uralte, durchgefaulte, zerbrochene Planken ragten in schiefen Winkeln aus dem Rumpf des Wracks.
Es war alles andere als einfach, sich in den ausgehöhlten Eingeweiden des Schiffs zu orientieren. Evans Füße klatschten gegen die niedrige Decke. Mit den Händen tastete er sich an dem brüchigen, aufgequollenen Holz eines Durchgangs entlang. Er kam sich vor wie ein Astronaut auf Erkundungsgang, der durch das verlassene Raumschiff von Außerirdischen schwebte. Beim Gedanken an Aliens, deren Tentakel durch die der Schwerkraft enthobene Luft peitschten, um ihn unvermittelt im Gesicht zu treffen, wenn sie ihm aus den unbekannten Gängen vor ihm entgegensprangen, durchlief ihn ein Zittern. Im Moment war sein Faible für Science-Fiction alles andere als hilfreich. Außerdem wusste er durchaus, womit er es hier zu tun hatte. Die einzige Ungewissheit bestand darin, wo sie sich versteckt hielt …
Evan schnappte überrascht auf, als seine Lampe aufgewühlte, gräuliche Stofffetzen erfasste, die wie Schleier vor ihnen im Wasser trieben.
War sie das?
»Was ist das?«, wollte Bill in seinem Ohr wissen.
»Keine Ahnung«, murmelte er und zwang sich, näher zu paddeln. In der sanften Strömung schienen die Kanten des Gewebes beinahe zu flimmern. Evan musste heftig schlucken, als er die Hand danach ausstreckte, um zu enthüllen, was sich dahinter verbarg.
Es wäre ihm beinahe durch die Finger geglitten, als er danach tastete. Doch dann gelang es ihm, das uralte, vermoderte Laken festzuhalten. Ein kräftiger Ruck und es hing ihm auf einmal wie einem Matador über dem Arm. Dahinter verbarg sich –
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