Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
LIGEIA - Ein erotischer Horrorthriller (German Edition)

LIGEIA - Ein erotischer Horrorthriller (German Edition)

Titel: LIGEIA - Ein erotischer Horrorthriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Everson
Vom Netzwerk:
Hosentasche. Selbst nach all den Jahren wurde er nicht müde, interessante Fundstücke vom Strand nach Hause zu schleppen. Im ganzen Haus hatte Sarah mit seinen Mitbringseln gefüllte Einmachgläser stehen.
    Mittlerweile befand er sich in der Nähe von Gull’s Point und verlangsamte seinen Schritt. Er bückte sich, kurz bevor er den dunklen Felsstreifen erreichte, las einen kleinen, flachen Kiesel auf und wiederholte sein übliches Ritual. Ein-, zwei, drei-, vier- … fünf- … … … sechsmal sprang er über die ruhig daliegende Wasseroberfläche. Ein Lächeln umspielte seine Lippen – Josh wäre stolz auf ihn gewesen. Früher hatten sie sich immer ein Duell geliefert, wessen Stein am häufigsten dotzte.
    Die Erinnerung daran zerfiel in unzählige Schnappschüsse aus der Zeit, die sie gemeinsam am Strand verbracht hatten. Beim Frisbeespielen oder Steinewerfen, wie sie lachend gemeinsam in den Sand stürzten oder spät nachts noch am Lagerfeuer saßen und Evan auf der Gitarre klimperte …
    Geistesabwesend begann er ein weiteres ihrer Lieblingslieder zu singen, von der Band Industrial Disease. »Let me touch you now, forever, just this one last time …« Doch er brachte den Text nicht zu Ende. Es schnürte ihm die Kehle zu. Jedes Mal, wenn er das Lied sang, zerriss es ihn innerlich.
    Wie als Antwort erklang irgendwo eine Melodie. Doch sie verwandelte die Schwermut von Evans Weise in hellsten Sonnenschein. Die Stimme schwang sich hoch in den Himmel auf, beinahe wie wortloses Vogelgezwitscher. Dann wieder sank sie hinab zu einem so lieblich über die Wellen dahingleitenden Alt, dass Evan davon ganz weiche Knie bekam. Am liebsten hätte er sich in den Sand geworfen, um sich in dem vollkommenen Klang zu verlieren. Wer auch immer Ligeia sein mochte, diese Frau hatte die erstaunlichste Stimme, die er jemals vernommen hatte. Er konnte nicht begreifen, weshalb sie diese Stimme hier draußen für nichts und niemanden verschwendete. Es sei denn, sie kam bloß her, um zu üben? Angesichts der Bandbreite und Schönheit ihres Timbres konnte Evan sich unmöglich vorstellen, dass sie keine professionelle Sängerin war. Auch wenn er noch nie gehört hatte, dass berühmte Opernstars in Delilah lebten. Und eine Sängerin namens Ligeia kannte er auch nicht.
    Evan hielt auf den Felsen der Landzunge nach ihr Ausschau und war gerade im Begriff, sich auf den trügerischen Weg zu machen und loszuklettern, als ihm klar wurde, dass sie sich diesmal gar nicht auf den Felsen befand. Undeutlich nahm er im Wasser einen hellen, auf und ab hüpfenden Fleck wahr, der sich bewegte. Als er die Augen zusammenkniff, sah er, dass sie anscheinend auf dem Rücken lag, sich treiben ließ und den Sternen ein Ständchen brachte. Hin und wieder sah er einen Arm oder ein elfenbeinfarbenes Knie aus den Wellen auftauchen und wieder verschwinden, wodurch es ihr gelang, sich verträumt auf den Wogen treiben zu lassen.
    Evan ging näher ans Wasser; sein ganzer Körper sehnte sich danach, dem Ursprung dieser Musik nahe zu sein. Ligeias Lied wirkte wie ein süßes Lockmittel; er schloss die Augen und spürte ihre Finger über seinen Körper gleiten, als wäre er ein Musikinstrument. Die Nacht rings um ihn herum schien wärmer zu werden, während er sich den Klängen hingab und sein Inneres der Schönheit ihres Gesangs öffnete. Die Melodie durchströmte seine Adern wie Branntwein, erweiterte sein Bewusstsein und machte ihn zugleich unempfindlich gegenüber jedweder Ablenkung.
    Er war froh, dass er das gegenüber sich selbst abgegebene Versprechen, nämlich nicht mehr an den Strand zu gehen, gebrochen hatte. Er brauchte ihre Nähe, musste einfach neben ihr stehen. Auch wenn er ihren Körper nie wieder berühren sollte, musste er doch unbedingt ihren Weisen lauschen. Im Sog der Musik schien sein Atem langsamer und wieder schneller zu gehen. Er tat einen weiteren Schritt auf die Stelle zu, an der sie schwamm. Evan verlor sich völlig in diese Klänge und öffnete auch nicht die Augen, um seinen Weg zu verfolgen. Er saugte die Melodie in sich ein und seufzte, als sie ihn schließlich vollständig ausfüllte und ihm dann doch wieder entglitt, um ihn mit einer verzweifelten Sehnsucht zurückzulassen.
    Ligeias Musik spielte auf seinen Emotionen wie auf einer Harfe, und doch vermochte Evan nicht ein einziges Wort von dem, was sie sang, auszumachen. Es waren Wörter und vertraute Silben. Doch sie sang, wie er glaubte, in einer fremden Sprache. Einer Sprache, die schöner

Weitere Kostenlose Bücher