LIGEIA - Ein erotischer Horrorthriller (German Edition)
hoffentlich«, meinte Sarah. »Ich will in den Park gehen.«
Der Golden Gate Park war nach ihrer Ansicht einer der schönsten Orte auf der ganzen Welt – als sie frisch verheiratet waren, hatten sie hier Stunden verbracht, auf den langen, gewundenen Pfaden Spaziergänge unternommen, in dem kleinen Café mit Meerblick im Japanischen Garten Tee getrunken und die Düfte und leuchtenden Farben des Rosengartens auf sich wirken lassen. Es war eine unglaublich weitläufige Fläche, durch die sich zahllose Wege schlängelten, die zum de Young Museum, einer Konzerthalle, zum Stow Lake und dem Botanischen Garten führten.
Überall reckten sich Eukalyptusbäume gen Himmel und ihr kräftiger, frischer Geruch erfüllte die Luft ringsum. Man konnte einen ganzen Tag lang herumspazieren, um an einem Ende des 2,5 Kilometer langen Areals das Batik-Mekka Haight-Ashbury zu erreichen – oder am anderen Ende den Strand. Manchmal hatten sie im Beach Chalet zu Abend gegessen, genau dort, wo die ersten Sandkörner Tuchfühlung mit dem Asphalt aufnahmen. Die ideale Abrundung für einen vollkommenen Tag, zumal man von dort aus beobachten konnte, wie die Sonne hinter dem Meer versank, während die Kühle der Nacht sich allmählich ausbreitete. An den meisten Orten verteilten sich die Jahreszeiten über zwölf Monate. In San Francisco konnte man sie an einem einzigen Tag erleben.
»Okay, ob Nebel oder nicht, zuerst legen wir am Kai eine kleine Pause ein«, verkündete Evan. »Ich komme um, wenn ich nicht ein paar Krabben in den Bauch kriege!«
Damit spielte er auf Fisherman’s Wharf an – ein Hafenviertel im Nordosten San Franciscos, eine der Hauptattraktionen, wo sich bei einem der zahlreichen Straßenverkäufer im Vorbeigehen eine oder zwei Portionen Krebsfleisch ergattern ließen. Gestärkt vom köstlichen Imbiss wollten sie am Wachsfigurenkabinett und an Klamottenläden vorbei zum Bootsanleger für Touristenrundfahrten schlendern und an der Cable-Car-Haltestelle vorbei hinauf zum Ghirardelli Square. Dort konnte Sarah in einem kleinen Laden ihrer Schwäche für Schokolade frönen.
Während der ersten paar Stunden in San Francisco drehte sich alles nur ums Essen. Hier eine Kleinigkeit, dort ein Snack, ein kurzer Stopp für das eine oder andere Kinkerlitzchen … So näherten sie sich zielstrebig Chinatown, wo sie planten, sich Dim Sum, gefüllte Teigtaschen, zum Mittagessen zu gönnen.
Im Hafenviertel war es ruhiger als sonst … noch immer breitete der Nebel seinen schweren Schleier über den Straßen aus, wodurch einem alles irgendwie grau und verschwommen erschien, wie in einem Traum. Sarah hielt seine Hand, während sie den Gehweg entlangschlenderten und sich die Schaufenster der Souvenirläden ansahen, in denen man billige Fleece-Jacken kaufen konnte, um gegen einen plötzlichen Kälteeinbruch gewappnet zu sein. Hier unten an der Bucht konnte man nie sagen, ob es innerhalb der nächsten zwei Stunden fünf Grad wärmer oder kälter sein würde.
Sie flanierten zu einem der Piers, und Evan holte sich eine Schale Krebsfleisch, Sarah hingegen wich von ihrer üblichen Gewohnheit ab und bestellte ein Krabbenküchlein.
»Ein Küchlein?«, zog er sie auf. »Was soll das denn, feiern wir etwa eine Geburtstagsparty?«
Sarah schmiegte sich an ihn heran und küsste ihn auf den Mund. In ihren Augen lag ein vielsagender Ausdruck. »Nein«, erwiderte sie. »Einen Jahrestag!«
»Hmm?«
»Das dachte ich mir, dass du das vergessen hast … Genau heute vor 24 Jahren sind wir zum ersten Mal miteinander ausgegangen.«
»Tatsächlich?« Evan runzelte die Stirn und kramte in seinem Gedächtnis.
»Blödmann!« Sie knuffte ihn in die Rippen. »Freut mich, dass es so einen bleibenden Eindruck bei dir hinterlassen hat. Früher habe ich immer Karten zu diesem Anlass bekommen und wir sind ausgegangen, und jetzt« – sie seufzte theatralisch – »erinnert sich der werte Herr noch nicht einmal mehr daran.«
»Doch, warte, jetzt fällt es mir wieder ein«, erklärte er und fing an, heftig zu nicken.
»Das habe ich schon mal gehört. Und was hat es mir eingebracht? Wäsche waschen und Geschirr spülen. Toll!«
Evan beugte sich zu ihr und biss ein Stück von ihrer Krabbenpastete ab, bevor sie sich das ganze Stück in den Mund schieben konnte. »Na also«, brummte er zufrieden. »Jetzt haben wir uns einen Kuchen geteilt, genau wie bei unserer Hochzeit. Und du hast von mir wesentlich mehr bekommen als bloß schmutziges Geschirr.«
»Oh ja«, sagte sie.
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