LIGEIA - Ein erotischer Horrorthriller (German Edition)
herumstand. »Ja, ich glaube schon. Und deutlich blutiger, vermute ich!«
In der Ecke versuchte das Opfer eines Axtmörders, sich an einem Seil festzuklammern. Doch die Hände, mit denen es verzweifelt versuchte, das rettende Tau zu erreichen, hingen an einem Körper, der längst unvollständig war. Unterhalb der Hüfte fehlte alles, dort wartete nur noch rohes, zerfetztes »Fleisch« auf den Betrachter. Mitunter konnte Wachs auch zu realistisch sein.
»Puh«, machte Sarah und rückte näher an Evan heran. Er führte sie durch die Horrorausstellung in einen kleinen abgedunkelten Raum. Hier präsentierte sich das Panoramabild einer felsigen Küstenlandschaft. Die Rückwand war in einem tiefen Mitternachtsblau gestrichen; an einem fernen Horizont schimmerten winzige Lichtpunkte, die wohl eine Stadt darstellen sollten.
Im Vordergrund lag eine Frau, den Kopf in die Hand gestützt, auf der Seite. Sie war nackt, und prompt wanderte Evans Blick zu ihr. Der Bildhauer hatte jedes auch noch so kleine Detail liebevoll herausgearbeitet, einen Leberfleck auf der linken Brust der Nackten festgehalten und selbst noch die winzigen rosa Furchen, die ihre Brustwarzen täuschend echt wirken ließen. Das Haar hing ihr in langen, schwarzen, den rechten Busen nahezu verdeckenden Locken über die Schulter. An ihrem Bauch zeichnete sich ganz fein der Schatten eines Nabels ab. Doch darunter nahm ihre Gestalt seltsame Züge an. Von den Hüften abwärts wich ihre Haut silbernen Schuppen. Anstelle von Frauenbeinen und dem weiblichen Geschlecht wartete ein langer, metallisch glänzender Fischschwanz.
»Da hast du deine Titten«, lachte Sarah, während sie auf einem Schild nachlas, worum es sich handelte. »Du kannst gucken, so viel du willst, aber du wirst nie was von ihr bekommen! Eintritt verboten, denn diese Frau besitzt gar keinen Eingang.«
»Ich bin nun mal ein Pechvogel«, gab er grinsend zurück. »Endlich finde ich die perfekte Frau, und dann ist sie gebaut wie eine Barbiepuppe.« Um einer weiteren Erwiderung zuvorzukommen, meinte er: »Ganz schön gewagt für ein Wachsfigurenmuseum, eine nackte Meerjungfrau auszustellen.«
»Das ist keine Meerjungfrau«, entgegnete Sarah, »sondern eine Sirene.«
Evans Herz setzte für einen Schlag aus. Sarah bekam nicht mit, dass die Farbe aus seinem Gesicht wich, weil sie gerade den Begleittext studierte.
»›Die Sirene wurde im Laufe der Jahrhunderte auf unterschiedlichste Art und Weise dargestellt‹«, las Sarah vor. »›Ursprünglich zeigten bildliche Darstellungen sie als Vogel oder auch Fisch mit Frauenkopf. Im Lauf der Jahrhunderte jedoch verliehen Kunst und Mythologie der Sirene deutlich menschlichere Züge. Manche Berichte beschreiben sie entweder zur Gänze als Frau oder, ähnlich einer Meerjungfrau, als Wesen mit verführerischem weiblichen Oberkörper und Fischschwanz anstelle von Beinen. Ein bekanntes Gemälde hält sie mit zufriedenem Lächeln gemeinsam mit ihren beiden Schwestern fest. Das Trio liegt an einem Strand, der übersät ist von den Leichen der Männer, die sie mit ihrem Gesang anlockten, um sie zu verspeisen. Eine entsprechende Darstellung ist hier in einem berühmten Werk im Française Museum de la Wax zu sehen, bei dem wir uns für die großzügige Leihgabe bedanken.‹«
Rings um die Wachsfrau lagen überall männliche Torsos verstreut, bei manchen ragten noch gelbliche Rippenbögen aus dem verstümmelten, angenagten Fleisch.
»Das wirft ein ganz neues Licht aufs Angeln, oder?«, meinte Sarah. »Normalerweise sieht man die Männer immer draußen, wie sie den Fisch einholen, und hier haben wir eine Frau, halb Fisch, die sich die Männer angelt. Und zwar nicht, weil sie eine tiefe Zuneigung für sie empfindet oder mit ihnen ausgehen möchte … sie hat einfach Hunger.«
Sarah lachte, mit sich selbst zufrieden, doch Evan schwieg unangenehm berührt. Er starrte auf die dunklen Augen der Sirene und stellte sich Ligeia am Strand vor. Er hörte Bills Stimme, wie dieser steif und fest behauptete, in Delilah gäbe es eine Sirene. »Wenn du weißt, was gut für dich ist, hältst du dich nachts von diesem Strand fern, sonst endest du eines Tages als Fischfutter«, hatte Bill ihn einmal gewarnt. »Im Moment mag sie dich vielleicht ranlassen, aber am Ende wirst du derjenige sein, der ihr alles gibt. Du kannst ihr nicht trauen.«
Ein Fausthieb gegen die Schulter riss Evan jäh aus seinen Tagträumen.
»… Evan!« Sarah stand erwartungsvoll neben ihm. »Hallo, Erde an
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