Lila Black 01 - Willkommen in Otopia
zu merken und innerlich eine Wegskizze anzufertigen. Sie testete die Kraft ihrer Bewacher, indem sie mal zur einen, mal zur anderen Seite zog, und stellte fest, dass sie auf eine drahtige Weise kräftig waren, aber trotz ihrer Größe viel leichter als sie. Der eine hielt sie an ihrem verbrannten Arm, und von dem Schmerz wurde ihr so übel, dass sie den Brechreiz niederkämpfen musste. Um sich abzulenken, sprach sie mit Tath, auf der Suche nach irgendetwas, das ihr helfen konnte, in den Raum zu gelangen, in dem Zal war.
Wo wir jetzt ein bisschen Zeit zum Nachdenken haben – sag mir: Weiß Arië, dass ich Zals Leibwächterin war?
Wenn Dar es ihr nicht gesagt hat, nein, wohl nicht. Sie interessiert sich nicht weiter für deine Funktion, aber wenn sie je dahinterkäme, dass Zal dich in ein Spiel verwickelt hat, wäre das anders. Eine Handhabe gegen Zal wäre ihr mehr wert als mein Leben oder das von Dar, so viel steht fest. Sie wird deine Herrschaft über mich nicht akzeptieren, und ich glaube, sie würde uns eher beide töten, als diese Peinlichkeit weiter zu ertragen, denn sie betrachtet mich als ihr Eigentum. Aber sie würde Dar und mich jederzeit opfern, um die Herrschaft über dich zu erlangen. Du musst genau wie wir entscheiden, wie viel dir das Leben derer bedeutet, die dir nahe stehen, und wie viel mehr dir das Wohl deines Volkes bedeutet.
Das war in gewisser Weise eine positive Auskunft. Solange Lila das Spiel richtig spielte, konnte sie wenigstens lange genug am Leben bleiben, um einen Fluchtversuch zu unternehmen. Aber was Tath über sein Verhältnis zu Arië sagte, ließ sie doch zusammenzucken. Ihr Eigentum?
Arië ist die Anführerin der Lichtelfen aus der Valarlinie, zu denen auch ich mich zähle. Kraft ihrer Autorität als Anführerin kann sie über mich verfügen. Deshalb bin ich ja Nekromant geworden. Wenn sie es mir nicht geboten hätte, warum hätte ich dann einen so abscheulichen Dienst auf mich nehmen sollen?
Lila hatte den Verdacht, dass elfische Loyalität im Geheimdienstwesen bis zu extremem Altruismus ging. Für die Jayon Daga?
Nicht mal die können ein solches Opfer verlangen.
Lila wurde vor einer Tür angehalten. Wie alle Türen im Seepalast war auch diese keine richtige Tür, sondern eine magische Barriere, die unter der Berührung der Wachen verschwand. Dahinter lag ein kleiner Raum, umschlossen von dunklem Seetang, der die Wände der Blase überwucherte. Darin befanden sich ein Bett, ein Tisch und ein Minimum an weiteren Einrichtungsgegenständen, und alle diese Dinge sahen aus den meisten Blickwinkeln aus, als schwebten sie in der Luft. Lila hatte Mühe, beim Gehen nicht zu stolpern, weil es so schwer war, die räumliche Tiefe richtig abzuschätzen. Astar folgte ihr in den Raum und sah zu, wie sich die magische Wand hinter ihnen schloss.
Sobald sie allein waren, wandte sich die anmutige Elfe Lila zu, ergriff ihre Hände und sagte: »Sag, dass du es bist, Tath, und dass das alles irgendein grässliches Spiel ist und nicht die Wahrheit!« Ihre länglichen Augen waren rot gerändert, die dunklen Regenbogenhäute riesig in dem schwachen Licht. Sie wollte sich die Tränen wegtupfen und zückte ein hauchzartes Taschentuch, aus dem ein paar Blumen fielen, als ob sie sie irgendwann gepflückt und in den Falten des Tuchs vergessen hätte. Sie bückte sich rasch, um sie aufzuheben, und zog Lila mit hinab. Zwischen den hübschen Blüten lag ein weißes Gänseblümchen …
Taths Präsenz in ihr war plötzlich schmerzhaft intensiv, und seine Andalun- Hülle um Lila dehnte sich weit genug aus, um Astars sorgsam zurückgehaltenen Ätherleib berühren zu können. Seine Traurigkeit war schlimmer als der Schmerz in Lilas verbranntem Arm.
Lila hob das Gänseblümchen auf und streckte es der schwarzhaarigen Elfe hin. »Leider ist es die Wahrheit, aber mit Sicherheit nicht die ganze.«
Astar ergriff Lilas Hand, fühlte aber Taths Finger, als sie die Blume achtlos entgegennahm, dann die Hand an ihre Lippen führte und sanft jeden einzelnen Knöchel küsste. »Ich habe dich so vermisst. Sag, dass du es bist, der redet, und nicht diese Schwindlerin.«
Lila hatte es um Taths willen mit sanfter Höflichkeit versuchen wollen, hörte sich jetzt aber unwirsch knurren: »Es ist die Abnormität, nicht dein Bruder.«
Astar stieß Lilas Hand von sich, blickte ihr aber furchtlos ins Gesicht. »Dann trägst du ihn mit Anstand, wer immer du bist, denn ich spüre sein Andalun, und er leidet nicht unter dir.
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