Lila Black 01 - Willkommen in Otopia
willst.«
17
Lila war froh, als mit dem Morgengrauen ein sicherer Zeitraum anbrach und sie endlich aufbrechen konnten. Sie fragte Dar, was er glaube, wo Zal sei, wie weit es dahin wäre, wie lange sie brauchen würden, was sie tun könnten … Er sagte nur achselzuckend, sie müssten sich beeilen. Sie musste immer wieder an Tath denken, aber sobald das passierte, lenkte sie ihre Gedanken rigoros auf etwas anderes.
Um nicht unerwünschten Gefühlen nachzuhängen, und weil Dr. Williams immer wieder in ihrem Kopf auftauchte wie ein rachsüchtiger Geist, konzentrierte sie sich darauf, Dars Bewegungsabläufe zu kopieren. Er rannte auf den Fußballen, übersprang kleinere Hindernisse mit katzenhafter Anmut und kam, selbst wenn er sehr müde war, mit müheloser Balance zum Stehen. Den ganzen Tag lief sie hinter ihm her, wobei das freudige Gefühl der gestrigen Tagesetappe durch die Geschehnisse der Nacht und das ständige Wissen um Taths Präsenz erheblich gedämpft war. Lila sehnte sich plötzlich nach Funkkontakt mit Sarasilien, mit Malachi, mit irgendjemandem, selbst Poppy. Sie hätte viel darum gegeben, eine Fee neben sich zu haben, die sie aufheiterte. Sie vermisste sogar die alberne, banale Welt des Musik-Business und dachte schon fast liebevoll an lila Pelzmäntel und melodramatische Reden über Download-Umsätze und Werbebudgets, als Dar Rast zu machen beschloss.
»Haben Sie irgendwelche Musik bei sich?«, fragte er, als sie hoch in den Bergen auf einer kahlen Felsrippe saßen. Der Blick war spektakulär. Unter ihnen erstreckte sich ein riesiges, schüsselförmiges Tal in üppigem Grün. Der steile Gebirgswall auf der anderen Seite war selbst in dem klaren Licht nur vage zu erkennen. Grasland und Wald bedeckten den Talgrund, und Lila sah Seen und Flüsse in der Mittagssonne glitzern. Sie nahm ein Stück altbackenes Brot, das Dar ihr hinstreckte.
»Was möchten Sie hören? Ich hatte es nie so mit klassischer Musik außer Mozart und Vivaldi«, gestand sie.
»Spielen Sie mir vor, was Ihnen gefällt«, sagte er. »Irgendetwas.« Er ging Wasser holen. Sie tranken, und er setzte sich schließlich hin, nachdem er seinen Bogen abgelegt hatte, damit er nicht über den Stein schleifte. Lila tat es ihm nach und setzte sich hinter ihn, ihre Beine um seine gespreizt.
»Direkt über die Ohren«, sagte sie und legte die Handflächen sanft an seinen Kopf. »Hab keine Boxen, deshalb müssen Sie sich damit begnügen. Dürfte aber für Sie nicht allzu mies klingen. Ich habe alle Levels heruntergefahren.« Sie spielte die Musik durch die intelligenten Metall- und Synthetikschichten ihrer Handflächen ab, sodass diese als Lautsprecher fungierten. Sie selbst hörte innerlich zu, per Direktverbindung von ihrem KI-Archiv zum Gehirn. So saßen sie hungrig und betrübt da, blickten auf Sathanor hinab und hörten Time In My Hands von den No Shows.
»Jetzt brauchen wir nur noch was zum Rauchen, dann ist alles geritzt«, sagte Dar mit Original-Bay-City-Akzent, aber sein Humor hielt nicht lange an. Er seufzte.
»Ich kann Ihnen ein Aspirin geben«, bot Lila an. Zu ihrer Überraschung lehnte Dar sich an sie. Es war nicht sonderlich bequem, wegen all der Waffen zwischen ihnen, nicht zuletzt einem Schwertknauf, der gegen ihr Kinn drückte, aber sie rührte sich nicht. Sie sah jetzt in seinem braunen Haar Silberfäden und Strähnen, die im Sonnenlicht wie Bernstein glühten.
Tath war offenbar wach, nahm sie aber kaum zur Kenntnis, sondern brütete vor sich hin. In den Stunden, seit er sich in ihr einquartiert hatte, war Lila sich immer sicherer geworden, dass er nicht nur Giftstachel, sondern auch Honig zu bieten hatte, wenn man auch nie wusste, was einem wann zuteil werden würde. Ihre anfangs so heftige Angst ließ in dem Maße nach, wie die Stunden vergingen, ohne dass Tath etwas tat. Wenn sie sich nicht darauf konzentrierte, fühlte sie seine Präsenz kaum.
Der Song war zu Ende. Lila nahm die Hände weg und legte sie leicht auf Dars Schultern. Der Wind frischte auf und trug ihr aus dem Tal einen Hauch von Flieder und anderen Blütendüften zu.
»Wir müssen los«, sagte Dar unvermittelt und erhob sich. Er streckte ihr die Hand hin. Sie ergriff sie und stand mühelos auf. Dar zeigte in das weite Tal hinab. »Hinter den ersten Waldgebieten vertieft sich das Tal und bildet einen großen See, ein bisschen wie der, an dem Sie damals in Lyrien waren. Dort wohnt Arië, unter den Wassern des Aparastil. Ich bin mir ziemlich sicher,
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