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Lila Black 02 - Unter Strom

Lila Black 02 - Unter Strom

Titel: Lila Black 02 - Unter Strom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justina Robson
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deren Strände kaum mehr als zehn Meter voneinander entfernt waren, befand sich eine Untiefe, durch die bei Ebbe oder Flut wütende Strömungen fegten. Auf beiden Inseln lagen sich Klippen gegenüber, und irgendwann hatte mal eine Seilbrücke sie verbunden, aber in den vergangenen Jahren war sie verrottet und zerfallen.
    Man arbeitete an einer neuen. Nachdem Tanquo in diesem Jahr zu Besuch gekommen war und auf beiden Seiten zwei Steinsäulen zur Verankerung errichtet hatte, hatte man Monate darauf verwandt, aus Materialien von den bewaldeten größeren Inseln Seile zu fertigen.
    Natürlich hätten sie eine Brücke errichten oder sogar die Inseln miteinander verbinden können, aber das wollte niemand, nicht einmal Suha. Es sollte eine Herausforderung sein, die sie bewältigen konnten.
    Als man zum ersten Mal darüber sprach, leuchteten alle Augen auf, denn man erkannte, dass es zum ersten Mal etwas Schwieriges zu tun gab und man eine Chance hatte, es ohne Hilfe von außen zu bewältigen. Vor ihrem geistigen Auge schwang die Brücke bereits majestätisch und elegant im Wind und knarrte dabei. Sie hielt sicher unter ihren Händen und Füßen, gebaut aus dem Holz und den Fasern, die diese Hände und Füße voller Liebe aus dem geschaffen hatten, was der Wald geschenkt hatte; eine echte Elfenbrücke.
    Sie verbrachten lange Stunden mit Gebeten. Ihre Gebete bestanden aus Bewegungen. Gehen, sammeln, lange Äste und Ranken in Fasern schlagen, knoten, flechten, gefällte Bäume tragen, mit der Krummaxt Holz zu Planken formen. Die Brücke wurde ihr Leben. Daran erinnerte sich Zal. Lange Tage und Monate, in denen der Traum von der Brücke lebte, der stillschweigende, gemeinsame Zweck, die Einigkeit, die Leere und Ruhe, als habe die Welt angehalten und warte auf sie und würde, wenn es nötig war, ewig warten.
    Sie vergaßen ihre eigenen Namen. Als die Arbeit getan war und die Nacht hereinbrach, sangen sie und spielten ihre Instrumente, ließen die Musik in ihrer eigenen Form aus sich aufsteigen. Ihre Freude baute die Brücke, und als sie fertig war, standen sie alle ohne Furcht darauf, über den gewaltigen Wasserströmungen tief unten.
    Zal erinnerte sich an die Brücke der Erschaffung, an diesen Moment, der ihn zutiefst prägte, mit allen zusammen, von ihrer eigenen Schöpfung sicher gehalten. Sie hielten sich bei den Händen, eine Brücke auf der Brücke, von einer Seite zur anderen über den schmalen Weg, und sie hatten je einen Fuß auf beiden Inseln.
    Es war nicht einmal eine Elfenbrücke, wie sie es sich erträumt hatten. Dafür war sie zu grob und hässlich, mit wulstigen Seilen und krummen Bohlen. Es war ihre ganz eigene Brücke.
    Niemand sprach, denn es war nicht nötig. Sie waren, wo sie hingehörten.
    In den Jahren, die darauf folgten, starben viele Freunde auf den Inseln, einschließlich Sindri, denn ihr zerbrechlicher Widerstand zerfiel im Laufe der Zeit. Ein Elf war ein ätherisches Wesen. Ohne ein starkes Andalun, nur mit den mageren Energien, die Nahrung und Atem allein liefern konnten, vertrocknete der Körper schnell. Er verbrauchte sich. Sie waren alt, als sie starben, obwohl einige von ihnen jünger als Suha waren. Mit jedem, der starb, starb auch ein Teil ihrer Fähigkeit zu überleben, ihrer Entschlossenheit und ihrer Energie.
    Ihr Dahinscheiden brach ihm das Herz, und als er in dieser Nacht wieder neben einer Leiche wieder in einer Schweigehütte saß, sprach eine innere Stimme zu ihm und befahl ihm, aufzustehen und zu gehen. Er packte seine wenigen Besitztümer zusammen und hatte keine Ahnung, wo er hinwollte, bis er kurz vor Sindris alter Hütte innehielt, um sich zu verabschieden, und dann wusste er – als habe sie mit ihm gesprochen –, dass es Zeit war, seinen Vater zu suchen. Er schloss die Tür seiner eigenen Hütte, versperrte sie mit einem Zweig und rief dann den Namen seiner Mutter in den Wind, denn ohne sie käme er nicht von der Insel.
    Aber ihr Schiff kam nicht. In der Dämmerung waren die See und der Himmel so leer wie ein Schrumpfkopf.
    Die fünf Stärksten, die noch lebten, fanden ihn bei Sonnenaufgang am Strand sitzen und aufs Meer hinausblicken.
    »Ich werde bleiben«, sagte Suha, der die Wahrheit in den weißen Wolken und dem blauen Himmel erkannte. Sie würde niemals kommen. »Ihr braucht mich.«
    »Du wirst gehen«, sagten sie. »Wir finden einen Weg.« Und dann, ohne zu zögern, sahen sie alle zur Brücke.
    »Nein«, sagte er.
    »Doch«, sagten sie und ließen ihn am Strand zurück.

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