Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lila Black 02 - Unter Strom

Lila Black 02 - Unter Strom

Titel: Lila Black 02 - Unter Strom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justina Robson
Vom Netzwerk:
vor sich hin lief.
    »Was macht Madame Des Loupes?«, fragte sie und erkannte den Klang ihrer Stimme kaum selbst.
    »Sie willst du nicht«, sagte der Kobold. »Wir brauchen einen Binder. Hier links. Madame ist eine Seherin.«
    »Was sieht sie denn?«
    »Seelen«, sagte der Kobold unruhig. »Wenn sie dir in die Augen schaut, kannst du nichts vor ihr verbergen. Sie kann dir alles über deine Vergangenheit und deine Zukunft sagen, denn sie sieht, was du bist und zu was man dich machen kann. Sie hat Freunde, die es genießen, große Dinge aus schlechten Materialien zu formen, und die werden alle versuchen, dich zu verdingen. Sie sieht dein Potenzial, was du sein könntest und wer. Das klingt vielleicht sehr spannend, aber ich muss dich warnen, das ist nichts, was man leichtfertig tun sollte. Madame weiß so viel über dich, und natürlich ist ihr Wissen Macht. Wer von uns Geheimnisse hat, der nähert sich ihr nicht weiter als bis zum Anfang der Straße, in der sie lebt. Und selbst dann kann man nicht sicher sein. Wir behandeln sie hier wie eine Göttin, aus Angst davor, dass sie uns verraten könnte.«
    »Verraten?«
    »Madame ist alt. In ihrer Jugend war sie die Präsidentin unserer Welt, die Chefin der Regierung. Nichts und niemand entging ihr. Unter ihrer Führung gelangen alle unsere Unternehmungen. Aber mit der Zeit entwuchs sie ihrem Verantwortungs- und Pflichtgefühl und erreichte die leichtsinnige Freiheit des Erwachsenenalters. Sie erlangte eine große Macht durch Händel und Kämpfe, die sie alle zu ihrem Vorteil voraussah. Man kann sie nicht täuschen. Seit ihr Gewissen sie nicht mehr einschränkt, hat eine Gruppe mächtiger Zauberer einen Bannspruch auf sie gelegt, der ihr Hausarrest aufzwingt. Wäre es nicht geglückt, sie einzusperren, hätte sie unsere Welt versklavt, die sie einst gerecht regiert hat.«
    »Und sie hat das nicht vorhergesehen?«, fragte Lila.
    »Sie hat es gestattet«, sagte der Kobold. »Sie wusste, was aus ihr werden würde. Sie sah es klarer als jeder andere.«
    Lila empfand eine grimmige Bewunderung für sie. »Vielleicht diente dies aber auch nur ihrem endgültigen Ziel besser?«
    »Wir müssen zugeben, dass dies eine Möglichkeit ist«, gestand der Kobold ein. »Auf jeden Fall ist sie die Älteste von uns allen und zeigt keine Zeichen des Verfalls. Andere Dämonen altern und werden zu Stein, wenn sie ihre Kräfte benutzen. Das ist der Preis dafür, wenn man von Äther lebt. Aber das Gefängnis hat sie vor diesem Schaden beinahe vollständig bewahrt. Jahr für Jahr wird sie mächtiger, aber sie verfällt nicht. Hier solltest du links gehen.«
    Aber während er sprach, schaute Lila direkt auf das Eckhaus. Im ersten Stock befand sich eine Veranda mit einem Balkongeländer, an dem Weinranken wuchsen. Der Käfig eines Vogels, dachte sie, und noch während sie es dachte, erschien der Vogel. Eine schlanke Frau mit dem Kopf eines Raben und den Flügeln eines Kolibris trat heraus und legte ihre edle Hand auf das Geländer. Sie drehte den Kopf und schaute mit einem schwarzen Auge genau auf Lila. Lila hörte, wie sich andere Gedanken zu den ihren gesellten, als würden zwei Stimmen gleichzeitig dasselbe sprechen. Dann fuhr eine Stimme allein fort:
    »Um zur Hölle zu fahren, musst du jemanden finden, der sie dir öffnet, einen Torformer. Findest du keinen anderen, finde mich.«
    »Liiii-hiiinks!«, jaulte der Kobold. »Sie sieht her.«
    Die Dämonin drehte den Rabenkopf, senkte ihn abrupt, um auf den Platz unter ihr zu blicken, wo einige normale Krähen umherliefen und eindeutig warteten. Sie warf etwas hinunter, das aussah wie Fleischstücke, und die Krähen stürzten sich in einem Wirbel aus Flügeln darauf.
    Als Madame Des Loupes hineinging und die Tür schloss, sah Lila einige Pfauenfedern dort, wo die meisten Dämonen unterschiedliche Arten von Schwänzen hatten.
    »Hat sie …«
    »Nein«, sagte Lila. »Ich glaube, sie hat nur die Vögel gefüttert.«
    »Sie sind ihre Augen und Ohren«, sagte der Kobold. »Die meisten von ihnen sind nicht hier. Achte immer darauf, geschäftliche Gespräche nicht in Hörweite einer Krähe zu tätigen.
    Und wir brauchen einen Binder …«
    »Such einfach einen aus«, sagte Lila. Sie war drauf und dran gewesen, sich eine Entschuldigung einfallen und den Kobold alles für sie erledigen zu lassen. Der Anblick der Vögel, die sich auf das Fleisch stürzten und es mit ihren Schnäbeln zerfetzten, hatte sie so weit gebracht zu glauben, dass sie nicht mehr

Weitere Kostenlose Bücher