Liliane Susewind – Rückt dem Wolf nicht auf den Pelz! (German Edition)
wünsche mir nichts mehr, als irgendwo bleiben zu dürfen. Früher oder später entdecken mich die Menschen allerdings immer in den Wäldern. Sie scheinen mich als Feind zu betrachten. Dabei habe ich noch nie einem Menschen etwas zuleide getan.«
Lilli griff nun Jesahjas Gedanken auf. »Sie haben wahrscheinlich vor allem Angst davor, dass du ihren Schafen und Kühen auf den Weiden etwas tun könntest.«
Askan stutzte. » Ihren Schafen und Kühen? Stehen diese Tiere unter dem besonderen Schutz der Menschen?«
»Ja, diese Tiere gehören schließlich den Bauern.«
Der Wolf legte den Kopf schief. »Wie können Tiere denn Menschen gehören? «
Darauf wusste Lilli keine Antwort.
Fini schien diese Frage interessant zu finden. »Können Menschen dann auch Tieren gehören?«, fragte sie. »Gehörst du jemandem, Lilli? Gehörst du der Katze?«
»Nein!«, entgegnete Lilli irritiert. »Ich gehöre … mir!«
»Da hast du Glück«, sagte Askan.
Lilli merkte, dass sie rot wurde. »Du würdest also niemals den Menschen oder … ihren Schafen oder Kühen etwas tun?«, fragte sie schnell.
»Nein, darauf hast du mein Ehrenwort. Wenn die Menschen sich davor fürchten, dann können sie ganz beruhigt sein«, versprach Askan. »Ich finde im Wald genug zu fressen.«
»Wovon ernährst du dich denn?«
»Hauptsächlich von kleineren Tieren und von Beeren.«
Lilli blickte den Wolf betreten an. Sie durfte gar nicht an all die Tiere denken, die er schon gefressen hatte! Aber so war nun einmal der Lauf der Natur. Raubtiere fraßen andere Tiere. Da bemerkte sie, dass Bonsai und Fini furchtsam vor Askan zurückwichen.
»Ihr habt von mir nichts zu befürchten«, beruhigte der Wolf sie sogleich. »Ihr und ich, wir sind Brüder.«
Als Bonsai das hörte, schien er vor Stolz um mehrere Zentimeter zu wachsen.
Askan wandte sich wieder an Lilli. »Du hast gesagt, dass du aus dem Wald herauskommen willst. Ich kenne die Grenzen zu den Menschengebieten sehr gut. Ich kann dir helfen.«
Waldwanderung
Lilli sagte ihrer »Tier-Armee« auf Wiedersehen, und nach einem herzlichen Abschied zerstreute sich die Schar. Gemeinsam mit Jesahja, Frau von Schmidt, Bonsai und Fini folgte Lilli dem Wolf nun noch tiefer in den Wald hinein. Er kannte den Weg zum nächstgelegenen Menschengebiet, und Lilli hoffte, dass sie womöglich noch an diesem Tag nach Hause finden würden.
Während sie an der Seite des großen, schönen Raubtiers den dichten Wald durchstreiften, blickten Lilli und Jesahja sich immer wieder aufmerksam um. Midas konnte noch immer irgendwo lauern, und dieser Gedanke versetzte sie in permanente Alarmbereitschaft. Aber außer ein paar Wildschweinen, einem Hirsch und zahllosen anderen Waldbewohnern begegneten sie niemandem.
Als Lillis Magen zu knurren begann, zog Jesahja eine Packung Schokoladenkekse aus seiner Jackentasche. »Die hat Oleg uns gestern mit den anderen Sachen in den Wohnwagen gelegt«, erklärte er und verteilte die Kekse unter den Menschen und den Tieren.
»So was krieg ich sonst nie!«, jubelte Bonsai und begann, seinen Keks genüsslich abzulecken.
Fini hatte noch nie etwas Süßes gefressen und war begeistert von dem Schokoladenüberzug. Als Bonsai das hörte, ließ er von seinem Keks ab und schob ihn Fini mit der Nase hin. »Hier, Knuddelpfötchen, den kannst du auch haben.«
Finis Augen leuchteten auf, und während sie die Reste von Bonsais Keks fraß, blinzelte sie den Hund verliebt an.
Frau von Schmidt verspeiste ihren Keks mit dem Kommentar »Köstliche Kost!« und lobte Jesahja für seine »unerwartete Nützlichkeit«. Kurz darauf tranken sie alle eiskaltes, klares Wasser aus einem kleinen Bach, und Lilli fand beinahe Gefallen an diesem Abenteuer. In der Gegenwart des Wolfes fühlte sie sich sicher, und da die Sonne schien und der kalte Herbstwind von ihrem Anorak und dem dicken Schal abgehalten wurde, machte ihr die Waldwanderung geradezu Spaß. Während sie über einige Hügelketten wanderten, fragte Askan sie, wie es kam, dass sie mit Tieren sprechen konnte. Lilli berichtete ihm von ihrer Gabe und all den Dingen, die sie damit schon erlebt hatte. Daraufhin erzählte Askan ihr aus seinem Leben, und Lilli begann zu verstehen, wie einsam er sich fühlen musste. Es schien ihn zu freuen, wieder ein kleines Rudel bei sich zu haben – wenn auch nur für kurze Zeit.
Sie waren schon einige Zeit unterwegs und die Sonne stand hoch am Himmel, da blieb Fini plötzlich stehen. »Hier endet mein Revier«, sagte sie und
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