Lilien im Sommerwind
dein normales Outfit«, stellte sie fest und musterte das übergroße T-Shirt über Faiths Leinenhose.
»Es steht mir aber doch, oder? Ich habe mir etwas über die Bluse gekippt und mir das hier von Wade geliehen.«
»Ich verstehe.«
»Hast du ein Problem damit?«
»Warum sollte ich? Wade ist ein großer Junge.«
»Ich könnte jetzt etwas Unfeines sagen, aber ich lasse es lieber.« Faith schob sich ihre Haare hinter die Ohren und lächelte Tory an. »Bist du die Einsamkeit im Sumpf leid? Willst du dir Wohnungen ansehen?«
»Nein, ich mag mein Haus. Ich wollte nur rasch bei meiner neuen Angestellten vorbeischauen. Sherry Bellows.«
»Na, das ist aber ein Zufall. Ich wollte auch gerade zu ihr. Wade ist noch in der Praxis, und er konnte sie den ganzen Tag nicht erreichen. Ihr Hund ist heute Vormittag angefahren worden.«
»O nein. Sie wird untröstlich sein.«
»Es geht ihm schon wieder ganz gut. Wade hat ihn sofort wieder zusammengeflickt. Er hat ihm das Leben gerettet.« Sie sagte das so stolz, dass Tory sie nur verwundert anblickte. »Er ist sich noch nicht sicher, wie gut das Bein verheilen wird, aber ich denke, es wird alles wieder in Ordnung kommen.«
»Das freut mich. Er ist so ein schöner Hund und sie liebt ihn so sehr. Ich kann gar nicht glauben, dass sie ihn heute einfach allein gelassen hat.«
»Man kennt sich eben nie mit den Leuten aus. Da ist ihre Wohnung.« Faith zeigte in die Richtung. »Ich war schon an der Wohnungstür, aber sie hat nicht auf mein Klopfen reagiert, deshalb habe ich gedacht, ich versuche es mal vom Garten aus. Ihr Nachbar hat gesagt, sie nimmt diese Tür hier öfter als die vordere.«
»Die Jalousien sind heruntergelassen.«
»Vielleicht ist die Tür ja auf. Dann können wir rasch hineinschlüpfen und ihr eine Nachricht hinterlassen. Wade möchte gern mit ihr sprechen.« Faith ging über die Terrasse und fasste nach dem Griff der Glasschiebetür.
»Nicht!« Tory packte sie an der Schulter und riss sie zurück.
»Was ist los mit dir? Du meine Güte, ich will doch nicht einbrechen! Ich gehe nur kurz rein.«
»Geh nicht da rein. Tu es nicht.« Tory grub ihre Finger in Faiths Schulter.
Sie hatte es bereits gesehen. Es war wie ein Schlag ins Gesicht und im Mund schmeckte sie Blut und Angst.
»Es ist zu spät. Er war schon hier.«
»Wovon redest du überhaupt?« Faith schüttelte sich ungeduldig. »Würdest du mich jetzt bitte loslassen?«
»Sie ist tot«, sagte Tory gepresst. »Wir müssen die Polizei rufen.«
Hope
Hoffnung ist ein geflügelt' Ding Es sitzt in deiner Seele Und singt ohn' Unterlass ein Lied Das Lied, dem Worte fehlen.
Emily Dickinson
21
Sie konnte nicht hineingehen. Sie konnte aber auch nicht weggehen.
Der Polizist, der den Anruf entgegengenommen hatte, war skeptisch und verärgert gewesen, aber gegen zwei - wie er annahm - hysterische Frauen hatte er nicht viel ausrichten können.
Er war gekommen, hatte seinen Gürtel zurechtgezogen, an seiner Mütze gezupft und dann an die Glasscheibe geklopft. Tory hätte ihm direkt sagen können, dass Sherry nicht mehr in der Lage war, ihm zu antworten, aber er hätte ihr sowieso nicht zugehört.
Er ging hinein. Als er nach zwei Minuten wieder herauskam, war das verärgerte Grinsen aus seinem Gesicht verschwunden.
Sofort wurden alle notwendigen Maßnahmen eingeleitet. Als Chief Russo am Tatort erschien war bereits alles mit gelbem Band abgesperrt und die Spezialisten waren schon bei der Spurensicherung.
Tory saß auf dem Boden und wartete.
»Ich habe Wade angerufen.« Da sie sonst nichts tun konnte, hatte Faith sich neben sie gesetzt. »Er muss auf Maxine warten, aber dann kommt er.«
»Er kann hier doch nichts tun.«
»Wir alle können hier nichts tun.« Faith blickte auf das gelbe Band und auf die Schatten, die sich hinter der Tür bewegten. »Woher wusstest du, dass sie tot war?«
»Sherry? Oder Hope?«
Faith drückte Biene an ihre Brust und rieb die Wange an ihrem warmen Fell. »Ich habe so etwas noch nie gesehen. Sie haben mich nicht an Hope herangelassen. Ich war noch zu klein. Aber du hast es gesehen.«
»Ja.«
»Du hast alles gesehen.«
»Nicht alles.« Tory presste die Handflächen aneinander und steckte sie zwischen ihre Knie, als sei ihr kalt. »Ich wusste es, als wir zur Tür kamen. Um den Tod herum ist es dunkel, vor allem bei gewaltsamen Toden. Und er hat auch etwas von sich zurückgelassen. Vielleicht nur den Wahnsinn. Es ist genau wie damals. Es ist derselbe.« Sie
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