Lilien im Sommerwind
weinte. Aber sie blickte mich voller Zorn an. >Warum musstest du hergehen und ihn wütend machen? Du hast immer nur Ärger gemachte Ihre Lippe blutete, ich weiß nicht, ob von seinem Schlag oder weil sie sich darauf gebissen hatte, als sie hinfiel. Ich ging einfach weiter und antwortete ihr nicht. Seitdem habe ich nicht mehr mit ihr gesprochen. Ich habe kein Wort mehr mit meiner eigenen Mutter geredet, seit ich zwanzig war.«
»Das ist nicht deine Schuld.«
»Nein, das ist nicht meine Schuld. Und doch war ich die Ursache für alles. Er lebte dafür, mich zu bestrafen, weil ich auf der Welt war. Weil ich so war, wie ich nun mal bin. Bis zu dem Moment, an dem es sich zum ersten Mal zeigte, dass ich anders war, hatte er mich leidlich in Ruhe gelassen. Ich war das Problem meiner Mutter und es gab selten mehr als einen abwesenden Klaps. Danach jedoch verging kaum eine Woche, ohne dass er mich missbrauchte. Nicht sexuell«, fügte Tory schnell hinzu, als sie Cades Gesicht sah. »In dieser Art hat er nie Hand an mich gelegt. Dabei wollte er es. Gott, er wollte es, und das jagte ihm noch mehr Angst ein, deshalb schlug er mich noch mehr. Und er empfand eine vertrackte Lust dabei. Sex und Gewalt sind tief in ihm miteinander verbunden. Das, was diese Frau ihm vorwirft, hat er auf jeden Fall getan. Er hat sie vermutlich nicht vergewaltigt, oder zumindest konnten sie ihm das nicht nachweisen, sonst hätte er keine Bewährung bekommen. Aber Vergewaltigung ist nur eine von vielen Methoden, mit denen ein Mann eine Frau verletzen und demütigen kann.«
»Ich weiß.« Cade stand auf, holte die Kanne und goss ihr Tee ein. »Du hast gesagt, du hättest sie noch zweimal gesehen.«
»Nicht beide. Nur ihn. Vor drei Jahren ist er nach Charleston gekommen. Er ist mir von der Arbeit nach Hause gefolgt. Er hatte herausgefunden, wo ich arbeitete. Als ich aus dem Auto stieg, fing er mich ab. Ich war zu Tode erschrocken und ich hatte nicht mehr so viel von der Widerstandskraft in mir, die ich mir in New York zulegte. Er sagte, meine Mutter sei krank und sie bräuchten Geld. Ich glaubte ihm nicht. Er hatte getrunken, ich konnte es riechen.«
Selbst jetzt noch konnte sie es riechen, wenn sie es zuließ, diesen schalen, stechenden Geruch. Tory hob ihre Tasse und atmete den Duft des Tees ein. »Er legte mir die Hände um den Arm. Ich wusste, dass er mir den Arm brechen wollte und dass ihn dieser Gedanke erregte. Ich schrieb ihm auf der Stelle einen Scheck über fünfhundert Dollar aus. Ins Haus ließ ich ihn nicht. Dann sagte ich, wenn er mich verletzen oder versuchen würde, ins Haus einzudringen, wenn er dorthin käme, während ich bei der Arbeit sei, würde ich den Scheck sofort sperren lassen und er bekäme nie mehr Geld von mir. Wenn er ihn aber jetzt nähme und ginge und nie mehr zurückkäme, würde ich jeden Monat hundert Dollar schicken.«
Tory lachte kurz auf. »Er war so überrascht, dass er mich losließ. Er war immer schon geldgierig gewesen. Er hielt zwar auch gern abfällige Vorträge über reiche Leute und Begehrlichkeit, aber er wollte selbst Geld haben. Ich lief ins Haus und verriegelte die Tür. Die ganze Nacht über saß ich da, mit dem Telefon und dem Feuerlöscher im Schoß. Aber er versuchte nicht, hereinzukommen, und er hat mich seitdem auch nie mehr aufgesucht. Mit hundert Dollar im Monat habe ich mir eine Art Seelenfrieden erkauft. Kein schlechter Preis, oder?«
Tory trank einen Schluck Tee. Er war zu heiß und zu stark, tat ihr aber trotzdem gut. Unruhig stand sie auf und starrte in den strömenden Regen. »So, jetzt weißt du es. Nur ein paar der hässlichen Geheimnisse der Familie Bodeen.«
»Die Lavelles haben auch ein paar hässliche Geheimnisse.« Cade trat zu ihr und fuhr mit der Hand über den fest geflochtenen Zopf, der über ihren Rücken herunterhing. »Du hattest immer noch genug Rückgrat, Tory. Auf jeden Fall konnte er dich nicht brechen. Er konnte dich noch nicht einmal beugen.«
Cade drückte ihr einen Kuss auf den Scheitel und freute sich, dass sie nicht zur Seite trat, wie sie es sonst immer tat. »Hast du etwas gegessen?«
»Bitte?«
»Wahrscheinlich nicht. Setz dich. Ich mache Rührei.«
»Wovon redest du?«
»Ich habe Hunger und du wahrscheinlich auch. Wir machen uns ein paar Eier.«
Sie drehte sich um, und als er die Arme um sie legte, zuckte sie kurz zusammen. Tränen standen in ihren Augen, und sie versuchte blinzelnd, sie zurückzudrängen. »Cade, das führt zu nichts. Mit uns
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