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Lilienblut

Lilienblut

Titel: Lilienblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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zu.
    »Du?«, fragte er nur.
    Sabrina nickte. Hatte sie jemals ein Hirn besessen? Einen Mund, der sprechen konnte? Das Einzige, was in ihrem Inneren existierte, war ihr Herz, das wild klopfte. Sie wollte etwas sagen, aber sie brachte keinen Ton über die Lippen. Kilian, dachte sie. Mein Gott, ich habe solche Angst um dich.

    Er war direkt vor ihr. Noch immer sah er sie an, als ob er kaum glauben könnte, dass sie hier, in dieser Wildnis, vor ihm aufgetaucht war. Sie konnte noch nicht einmal die Hand heben, um ihn zu berühren, sie stand einfach da wie gelähmt und wusste nicht mehr weiter.
    »Kilian …«
    Das Wort hatte sich in ein Flüstern verwandelt. Noch bevor es ganz ausgesprochen war, riss er sie in seine Arme und küsste sie. Und dieses Mal blieb sie nicht wie angewurzelt stehen. Sie schmiegte sich in seine Umarmung und tauchte tief hinein in diesen Kuss, so tief, so leidenschaftlich, dass sie glaubte, ihre Seelen würden sich berührten. Er presste sie an sich, als ob er sie nie wieder loslassen wollte, fuhr mit seinen Händen durch ihre Haare, berührte ihre Wangen, ihre Augen, ihren Hals mit seinen Lippen, küsste sie wieder, bis sie nach Atem ringend ihren Kopf zurückbog und in seine unglaublichen, blauen Augen sah.
    »Komm«, sagte er.
    Er nahm ihre Hand und sie stolperte hinter ihm her die Böschung hinunter bis zum Steg. Als sie das Deck erreicht hatte, ließ er sie vorgehen und warf einen Blick über die Schulter zurück zum Ufer. Alles war still und ruhig. Niemand war zu sehen.
    Als Erstes roch Sabrina frische Farbe. Aber die Küche sah aus wie immer, nur dass das Geschirr jetzt abgewaschen im Regal stand und die Sitzbank endlich einmal freigeräumt war. Kilian kam nach ihr herein, umarmte sie im Vorübergehen und zog sie neben sich auf die Bank.
    »Wie hast du mich gefunden?«
    »Der Richter«, antwortete sie. »Er hat mir von deinem Vater erzählt und vom Garten des Rangers, und dann hat der Hafenmeister eine Andeutung gemacht – nein, nicht, was du denkst!«
    Seine Augen hatten sich für einen Sekundenbruchteil verengt.
    »Niemand hat dich verraten. Aber wer mit allen gesprochen hat, kann sich zusammenreimen, wo du bist.«

    Er hob die Hand und berührte mit einer unendlich zärtlichen Geste ihr Gesicht. Dann lächelte er sie an. »Ich habe geglaubt, du würdest mich nie finden.«
    »Und ich habe geglaubt, du würdest das gar nicht wollen.«
    »Warum das denn?«
    Sie konnte sich nicht sattsehen an ihm. Die feine, gerade Nase, die hohe Stirn, die feinen, fast verletzlichen Züge, die fast völlig hinter seiner rauen Schale verschwanden. »Ich dachte, dass du und Amelie …« Sie brach ab. War das der Moment, über so etwas zu reden? Sie hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen, um diese letzten Worte wieder zurücknehmen zu können.
    »Amelie …« Er lehnte sich zurück.
    Sabrina berührte seine Hand. Sie war warm und trocken, kräftig und schwere Arbeit gewohnt, hatte aber lange, fast sensible Finger. »Ich weiß, dass ihr beide … dass ihr miteinander weg wolltet. Sie hat mir gesagt, dass du das Gleiche für sie empfunden hast wie sie für dich.«
    Er ergriff ihre Hand, führte sie an seinen Mund und küsste sie. Noch nie in ihrem Leben hatte jemand Sabrina die Hand geküsst. Es war eine Geste voller Demut und Zärtlichkeit, die ihr fast das Herz zerriss.
    »Amelie …« Er ließ ihre Hand sinken. »Amelie war ein wunderschönes Mädchen. So voller Lebenslust und ohne jede Angst, aber sie hat sich und dir etwas vorgemacht. Es war nicht so. Es war anders. Deine Freundin muss etwas missverstanden haben. Ich habe nie etwas zu ihr gesagt, das irgendwelche Hoffnungen wecken könnte. Als sie an diesem schrecklichen Abend vor mir stand …« Er machte eine Pause.
    Sabrina konnte kaum glauben, was er ihr gerade gesagt hatte. Amelie hatte sich etwas vorgemacht? Atemlos wartete sie darauf, dass er den Satz zu Ende bringen würde. »Ja?«, fragte sie. »Was ist da geschehen? Kilian, egal was passiert ist, du musst es mir jetzt sagen!«
    »Du glaubst, ich hätte sie getötet?« Er ließ ihre Hand los.
    Das war schlimmer als eine Ohrfeige. Aber es war einfach
an der Zeit, es auszusprechen. Sie musste es tun, damit die Zweifel endlich, endlich beseitigt werden konnten. »Ich weiß es nicht. Du hast sie zuletzt gesehen. Die letzten Seiten, die sie in ihrem Tagebuch beschrieben hatte, fehlen. Du bist abgehauen, genau zum Tatzeitpunkt. Und … Du hast schon einmal etwas Schreckliches erlebt.«
    Kilian

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