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Lilienblut

Lilienblut

Titel: Lilienblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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genügte. Sie kannten den Überraschungsmoment, denn sie redeten nicht, sie handelten. Der eine warf sich auf Kilian, der andere jagte ihm seine Faust in den Magen. Es war, als ob alle Luft aus seinen Lungen gedrückt würde. Er klappte zusammen und spürte im gleichen Moment, wie etwas wie eine glühende Peitsche über sein Gesicht fuhr.
    Der Mann ließ ihn los. Kilian fiel auf den Boden. Die beiden verschwanden so schnell und geräuschlos, dass es fast ein Spuk gewesen sein könnte, wenn nicht der glühende Schmerz auf seiner Wange gewesen wäre. Langsam, schwankend und torkelnd wie ein Betrunkener, kam er wieder auf die Beine. Er hatte völlig die Orientierung verloren und brauchte zwei tiefe Atemzüge, bis er wieder wusste, in welche Richtung er gehen musste. Warmes Blut tropfte von seinem Kinn hinunter auf den Pullover. Er sah ständig zurück über die Schulter, ob ihm noch jemand folgte. Erst als er die Désirée erreicht hatte, fühlte er sich einigermaßen sicher.
    Er stieg die Treppe hinunter und gelangte in das winzig kleine Badezimmer. Es war eiskalt, weil er vergessen hatte zu heizen. Er stützte sich am Türrahmen ab, der Boden tanzte vor seinen Augen in merkwürdigen, fließenden Bewegungen. Wahrscheinlich hatte er auch noch eine Gehirnerschütterung. Kein Wunder nach so einem Überfall.
    Aber es war kein Überfall gewesen. Er klopfte seine Taschen ab. Nichts fehlte. Das konnte nur bedeuten, dass die beiden im Auftrag von jemandem gekommen waren und nichts weiter zu tun hatten, als ihn auszuführen. Es war eine Warnung gewesen. Du hast es gewagt, unser Angebot auszuschlagen, obwohl du am Ende bist.
    Er stöhnte auf. Der Schmerz in seiner Wange pulsierte. Was sollte er tun? Wieder fliehen? Oder eine kriminelle Karriere am Ende der legalen Welt beginnen, aus der ihn nichts wieder befreien würde? Er machte einen Schritt auf das Waschbecken zu und für einen flüchtigen Moment sah er sein Gesicht im Spiegel. Blutüberströmt, mit eingefallenen Wangen und irre glühenden Augen. Mit zitternden Lippen starrte er sein Gegenüber an. Er hatte dieses Gesicht
schon einmal gesehen. Es verfolgte ihn bis in die hintersten Winkel seiner Albträume. Es war das Gesicht eines Mörders, der gerade begreift, dass es kein Zurück mehr gibt.
    Ihm wurde schwarz vor Augen, und bevor er zusammenbrach, formten seine Lippen einen Namen. Er hatte ihn fast vergessen. Es war ein Name aus einer anderen Welt, an die er nicht mehr glaubte, weil er den Schlüssel, der die Tür zu ihr öffnen würde, schon längst über Bord geworfen hatte. Trotzdem flüsterte er ihn. Als ob dieser Name ihn beschützen könnte, als ob er ein Wunder geschehen lassen könnte, egal, wie es aussehen würde, als ob dieser Name etwas Heiliges in sich trug, das wie ein Licht auch noch die tiefste Dunkelheit erhellte.
    Er schlug auf dem Boden auf. Bevor es Nacht in ihm wurde, flüsterte er ihn noch einmal.
    Sabrina …

ZWANZIG
    »Kilian!«
    Sabrina fuhr hoch. Die rote Leuchtanzeige ihres Weckers sprang auf 00:00. Mitternacht. Sie schlug die Decke zurück und richtete sich auf. Was war das denn? Welchen Alptraum hatte sie gerade geträumt? Sie versuchte sich zu erinnern, aber es gelang ihr nur bei dem letzten, schrecklichsten aller Bilder. Es waren seine Augen, die sie durch einen dunklen Nebel angesehen hatten, und sein Gesicht versank, den Mund geöffnet zu einem Schrei, in einem See aus Blut …
    Sie zitterte. Es war kalt im Zimmer, bitterkalt. Obwohl die Heizung lief, hatte der Frost das Haus wie mit einer eisigen Hand umklammert. Sabrina stand auf, schlang die Decke um sich herum und ging zum Fenster. Draußen war es dunkel. Der Schnee reflektierte das Licht der Straßenlampe in Milliarden glitzernden Kristallen. Er musste in den letzten zwei Stunden gefallen sein, in schweren, weichen Flocken, die auch jetzt noch wirbelnd durch die Luft tanzten.
    Wie lange hatte sie nicht mehr an ihn gedacht! Was war passiert? War ihm etwas geschehen? Sie zog die Decke noch enger um ihre Schultern. In den letzten zwei Wochen hatte sie so viel mit Lukas unternommen, dass sie kaum noch Gelegenheit hatte, über das Vergangene nachzugrübeln. Wenn sie ehrlich war, war das auch gut so. Es half niemandem, immer nur zurückzusehen. Lukas hatte recht. Sie musste nach vorne schauen. Die Polizei würde sich schon um alles kümmern. Das Rätsel um den schwarzen Schatten auf der Werth war nicht ihr Rätsel. Was der Ranger so trieb, wenn er nicht im Dienstplan stand, war nicht ihr

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