Lilienzucht (German Edition)
alt genug, um das Drama ganz bewusst mitzubekommen.
Du hättest sie sehen sollen, wie verloren sie durch die Krankenhausflure geirrt ist, als Dorothea nach dem Unfall in die Intensivstation eingeliefert worden ist. Wochenlang schwebte ihre Mutter zwischen Leben und Tod, kaum je so richtig bei Bewusstsein. Und Josie... Sie war trotz allem noch so klein... Sie stand die ganze Zeit über regelrecht neben sich, sie war überhaupt nicht wieder zu erkennen. Jedes Mal, wenn sie das Krankenzimmer verließ, hat sie sich hoffnungslos in den langen, kalten Fluren verlaufen uns saß dann stundenlang frierend in irgendeiner Ecke und hat apathisch vor sich hin gestarrt. – Einmal hab ich sie im Keller vor der Pathologie gefunden...“
„Das erklärt einiges.“, merkt Victor ernst an. „Aber, glaub mir, Justin, sie ist darüber hinweg. Sie ist jetzt erwachsen und auch wenn auf ihrer Seele sicher einige Narben zurückgeblieben sind, sie ist stark. – Mach dir keine unnötigen Sorgen, das wäre respektlos ihr gegenüber.“
Justin seufzt tief. „Na gut, ich werde es versuchen.“
Victor klopft ihm leise lachend auf die Schulter. „Hey, du hast eigentlich gar keine Wahl! Du bist frisch gebackener Vater.“
Justin grinst plötzlich schräg. „Vermutlich.“, stimmt er zu. Unversehens hält er inne und mustert Victor einen Moment lang verblüfft. „Du magst sie, hab ich Recht?“
„Ja, natürlich.“, gibt sein Freund unumwunden zu, immer noch leise lachend. „Kann man sie nicht mögen?“
„Keine Ahnung“, meint Justin lächelnd und zuckt mit den Schultern, „ mich darfst du nicht fragen, ich bin ihr großer Bruder.“
Ein paar Sekunden ist es still zwischen den beiden Männern, dann fällt Justin plötzlich etwas ein.
„Sag mal, Victor, stimmt das Gerücht, dass du einen Sitz im Oberhaus abgelehnt hast?“, fragt er.
„Jepp.“, bestätigt Victor knapp, nach wie vor ein breites Lächeln im Gesicht.
Justins Gesichtszüge hingegen entgleisen gerade heftig. „Was?!?“, hakt er entsetzt nach.
Victor schaut ihm ruhig in die Augen. „Glaub mir“, erklärt er ernst und doch mit beinahe unbekümmerten Blick, „ich habe das mit den unterschiedlichsten Menschen diskutiert; zuletzt sogar mit Ihrer Majestät persönlich.“
Justin ist nach wie vor fassungslos. „Aber, ... wieso?!“
„In erster Linie habe ich gar eine Zeit für solch ein Amt.“, antwortet Victor ungerührt. Plötzlich breitet sich ein amüsiertes Grinsen in seinem Gesicht aus. „Zumal ich seit Kurzem ein sehr zeitintensives Hobby habe, das mir große Freude macht und dass ich nicht gewillt bin, aufzugeben.“, fügt er hinzu. „Schon gar nicht für einen Sitz im Oberhaus.“
„Aber, was, um Himmels Willen...“, beginnt Justin erneut, doch Victor lässt ihn nicht weiter zu Wort kommen.
„Lilienzucht.“, erklärt er breit grinsend und mit einem unerklärlichen Funkeln in den Augen.
Justin schüttelt fassungslos den Kopf. „Lilienzucht.“, echot er ungläubig und ergänzt murmelnd: „...klingt nicht unbedingt aufregend...“
Eine Weile denkt er scharf nach, während Victor ihm nur schmunzelnd beim Stirnrunzeln zuschaut, dann strafft der Viscount sich plötzlich wieder und sucht den Blick seines Freundes. „Würdest du sie mir bei Gelegenheit zeigen?“, fragt er, immer noch skeptisch. „Vielleicht verstehe ich es dann besser.“
„Tut mir Leid, Justin“, meint Victor mit einem entschuldigenden Lächeln. „aber derzeit sind die Ergebnisse meiner Bemühungen noch nicht vorzeigbar. Zumal es sich um eine sehr empfindliche, zierliche Art handelt, die zwar einen betörenden Duft produziert, jedoch nur, wenn man sie entsprechend behandelt. Leider mag sie Trubel ganz und gar nicht und ich befinde mich noch im Versuchsstadium.“
„Dann gib mir einfach Bescheid, wenn du soweit bist.“, antwortet Justin resignierend.
„Wenn es dich interessiert...“, gibt Victor scheinbar zuvorkommend zurück, während er insgeheim in sich hinein grinst, wohl wissend, dass er diese Lilien ganz sicher nicht teilen wird; ... nicht mit ihrem eigenen Bruder...
Andernorts nimmt ein Gespräch über Geburten im Allgemeinen und die von Zwillingen im Besonderen einen ähnlich unerwarteten Verlauf.
„Sie sind wirklich süß.“, meint Josie gerade, während sie eines der Mädchen behutsam zu seiner Schwester ins Bettchen legt.
„Ja.“, findet auch die Mutter der Kinder. „Aber der Doktor meinte, das wäre bei Kaiserschnitt-Babys meist so. Warten
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