Lilienzucht (German Edition)
Händen haben, wird das sonst schwierig mit dem Zeitungskauf.“
„Wie du meinst.“, antwortet sein Freund lächelnd und zuckt mit den Schultern.
„Hm... ja...“, brummt Justin gedankenverloren und mustert Victor einen Moment lang eindringlich von der Seite her; dann seufzt er leise.
Victors Grinsen wird schräger. „Was liegt dir auf der Seele, Justin?“, erkundigt er sich ohne Umschweife.
„Mir?!“, fragt Justin scheinbar verwirrt zurück, doch sein Gesichtsausdruck spricht eher davon, dass sein Freund mit seiner Vermutung mitten ins Schwarze getroffen hat. „Wie kommst du darauf?“, versucht er abzulenken.
Victor lächelt verständnisvoll. „Komm schon, Justin“, meint er, „ich kenne dich inzwischen gut genug. – Geht es um Nora oder um Josephine?“
Justin klappt unwillkürlich der Unterkiefer Richtung Boden. „Was...? Wieso...?“, stammelt er verblüfft.
Das vernehmliche „Ping!“ des ankommenden Lifts gibt ihm Gelegenheit, seine Gedanken ein wenig zu ordnen. Glücklicherweise ist der Fahrstuhl vollkommen leer, als sie ihn betreten.
Schließlich seufzt Justin resignierend und gesteht leise: „Ich mache mir ein bisschen Sorgen um Josie. – Ich frage mich, ob sie damit klar kommt, ständig die Zwillinge vor Augen zu haben. Du weißt, sie kann selbst keine Kinder bekommen... Ich frage mich, ob es sie nicht zu sehr schmerzt...“
Victor schüttelt missbilligend den Kopf, als er ihn unterbricht. „Deine kleine Schwester ist nicht dumm, Justin. Sie weiß sehr wohl um die moderne Reproduktionsmedizin und auch um die Möglichkeiten der Adoption.
Aber mal abgesehen davon, dass sie nicht so charakterschwach ist, euch euren Kindersegen nicht von Herzen zu gönnen, soweit ich das verstanden habe, hat sie gar kein Interesse daran, eigene Kinder zu bekommen, weder auf die eine noch auf die andere Art. - Sie leidet nicht unter ihrer Unfruchtbarkeit, sie leidet lediglich darunter, dass es ihr manche Menschen regelrecht zum Vorwurf machen! – Du solltest deine Schwester wirklich besser kennen.
Ist es eigentlich ein Verbrechen, keine Kinder zu wollen? Ich will doch schließlich auch keine. – Himmel, Justin, es wird langsam Zeit, dass du deine überbehütenden Finger aus ihrem Leben nimmst und ihr den Raum gibst, sich ein eigenes Leben aufzubauen. Hast du denn gar kein Vertrauen in sie?“
„Doch, ... schon...“, druckst Justin unbehaglich herum. „Aber... Es fällt mit halt schwer, sie loszulassen. Meine Güte, allein schon, dass sie sich vorhin wieder mal verlaufen hat! Von der Sache beim Poloturnier will ich gar nicht erst reden...“
„Das solltest du auch nicht. So was passiert ihr schließlich nicht ständig .“, gibt Victor ruhig zu bedenken. „Und mit mangelndem Orientierungssinn haben auch andere Menschen zu kämpfen. Das ist doch kein Drama. Wenn ich nicht da gewesen wäre, dann hätte sie eben jemand nach dem Weg gefragt. Mein Gott, Justin, deine Schwester ist eine erwachsene Frau, eine ziemlich gescheite noch dazu; die weiß sich schon zu helfen. Manchmal habe ich den Eindruck, dass du sie mit deiner übertriebenen Fürsorge geradezu erdrückst . Es ist ja fast ein Wunder, dass sie trotzdem so gut alleine zurechtkommt.“
Der Fahrstuhl kommt mit einem erneuten „Ping!“ im Erdegeschoss an und erspart dadurch Justin, sofort antworten zu müssen. Er ist sehr still geworden.
„Vielleicht hast du sogar ein bisschen Recht.“, gibt er schließlich kleinlaut zu. „Aber ich hab Schwierigkeiten, mich nicht um sie zu sorgen. Sie hatte es viel schwerer als ich. – Weißt du, als ihre Mutter starb, habe ich ihr versprochen, mich um sie zu kümmern. Es war doch sonst keiner so richtig für sie da. Vater war nach Dorotheas Tod völlig am Boden zerstört; eine zeitlang war es kaum möglich, auch nur normal mit ihm zu sprechen. So eine Tragödie gleich zwei Mal erleben zu müssen...
Mich hat das nicht ganz so schwer getroffen. Dorothea war eine ganz wunderbare Stiefmutter für mich, aber sie hat auch von Anfang an klar gestellt, dass sie kein Ersatz für meine Mutter sein wollte. Und als sie mitbekommen hat, dass ich mich kaum an meine Mutter erinnern konnte, hat sie nicht nur die wenigen Erinnerungen an sie aufgefrischt, sondern auch dafür gesorgt, dass der Kontakt zu meinem Kindermädchen, an dem ich sehr gehangen habe, nie abgebrochen ist. – Aber ich habe nie um meine leibliche Mutter getrauert, sie war für mich nie so richtig greifbar.
Bei Josie war das anders; sie war
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