Lilienzucht (German Edition)
meine Intuition doch nicht getrogen hat, sie könnte tatsächlich eine sehr interessante ... Spielgefährtin sein...“ Ein wenig unwirsch deutet er auf den Sessel, auf dem vor kurzem noch Lady Josephine gesessen hat. „Jetzt setz dich endlich!“, verlangt er. „Es kann noch dauern, bis Mary zurückkommt.“
Unerwartet elegant lässt sich der Butler auf dem Ledersessel nieder und sieht sein Gegenüber erwartungsvoll an. „Inwiefern interessant?“, fragt er dann neugierig.
„Nun, ... mal abgesehen von ihren irrsinnig langen Beinen und ihrer mehr als ansprechenden Figur, hat sie ein riesiges, kunstvolles Tattoo auf dem Rücken ... und außerdem ist die Lady vom Hals abwärts vollständig und sehr sorgfältig rasiert.“
Jeffrey pfeift leise durch die Zähne. „Woher...“
„Sie hatte praktisch nur noch Reste von durchgeschwitzten Stofffetzen am Leib, als ich sie gefunden habe. Außerdem war sie stehend mit gespreizten Armen und Beinen gefesselt. Das einzig intakte Kleidungsstück an ihr war ein transparenter, weißer Slip, durch den man natürlich alles sehen konnte.“
„Aha...“, macht Jeffrey und hebt die Brauen. „Gefesselt...“
„Ja.“, gibt Victor grinsend zurück, doch nur Sekunden später ist sein Gesicht wieder ernst. „Und zwar ausgesprochen brutal und viel zu eng, sie hatte kaum einen sicheren Stand und konnte sich so gut wie gar nicht bewegen ... und das über Stunden hinweg und obendrein mutterseelenallein. Und trotzdem war sie bei alldem nicht mal ansatzweise in Panik. – Dabei schätze ich sie eigentlich eher als schreckhaft und ein bisschen ängstlich ein; jedenfalls decken sich da meine Beobachtungen der letzten Monate mit den Bemerkungen von Justin.“
„Lord Mountsimmons redet oft von ihr, nicht?“, merkt Jeffrey schmunzelnd an. „Ich denke, der Gute hat einen kleinen Schwesterkomplex.“
Victor lächelt weich. „Den hat er ganz sicher. Er sagt immer, er hat ständig das Gefühl, dass er sie beschützen muss. – Und, ehrlich gesagt, kann ich das sogar langsam nachvollziehen.“
„Dann mach sie zu deiner Gespielin und du kannst genau das nach Herzenslust tun.“, schlägt Jeffrey nüchtern vor.
„Das ist nicht so einfach.“ Victor seufzt müde. „Sie hat irgendwie so was Unschuldiges, Reines an sich, ich kann sie nicht einfach so ... in eine hinterlistige Falle locken; es müsste schon ihre eigene, freie Entscheidung sein, sich mir anzuvertrauen.“
„Wieso Falle?“, hakt Jeffrey verständnislos nach.
„Nach der Sache gestern kann es für sie doch nur noch so wirken.“, erklärt der Earl. „Wenn ich die Sache jetzt übers Knie breche, stelle ich mich damit irgendwie auf eine Stufe mit diesem widerlichen Kerl. – Ob sie das alles wirklich so gut verkraftet, wird sich ohnehin erst noch zeigen.“
Ein lebhaftes Klopfen an der Tür unterbricht die Gedankengänge der beiden Männer und Jeffrey ist mit einer ebenso flinken wie fließenden Bewegung aufgestanden und tritt wieder hinter seinen Dienstherrn, als sei nichts geschehen. Nicht einmal sein Atem geht schneller.
„Ja, bitte?“, sagt der Earl laut.
Die Tür öffnet sich und Mary huscht lächelnd in die Bibliothek, knickst kurz vor dem Earl und verkündet dann, dass die Lady zu Bett gegangen sei.
„Wie geht es ihr?“, erkundigt sich Lord Croydon mit leichtem Stirnrunzeln.
„Gut.“, berichtet Mary lächelnd. „Auf jeden Fall deutlich besser als heute Morgen. Sie meinte, der Tee hätte ihr unerwartet gut getan und der Mittagsschlaf würde sicher ein Übriges tun. Die Wunden sehen auch schon sehr viel besser aus. – Allerdings wird sie wohl von dieser Riesenbeule am Hinterkopf und dem Muskelkater noch länger was haben.“
„Und ihr psychischer Zustand?“, hakt Victor besorgt nach.
„Seit sie sicher ist, dass Sie wirklich unversehrt wieder zurückgekehrt sind, ist sie viel ruhiger, sie wirkt jetzt beinahe schon unbeschwert, Mylord.“, berichtet Mary. „Heute Morgen war sie vor lauter Sorge ziemlich durcheinander, ich glaube, sie hatte richtig Angst um Sie. Es war jedenfalls zeitweise nicht ganz so einfach, sie abzulenken. – Ich konnte ja schlecht von Ihren Aktivitäten im Club erzählen...“
„Er hat ihr sowieso alles gesagt.“, stellt Jeffrey resignierend fest und lässt sich wieder in den Sessel plumpsen. „Na ja, jedenfalls das Wichtigste.“
„Trotzdem war es richtig, Mary.“, wirft Victor ernst ein. „Sie hätten nicht das Recht gehabt, sie ohne meine Einwilligung zu informieren.
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