Lilith Parker, und das Blutstein-Amulett (German Edition)
um mich und saß ganz dicht neben mir, dann hat er meine Hand genommen und mich mit diesem besonderen Blick angesehen, verstehst du?«
»Nein, was für ein Blick sollte das denn sein?«
»Dieser ganz spezielle Blick eben!« Emma stöhnte gequält auf. »Ach, es hat ja doch keinen Sinn, dir das zu erklären. Aber warte es nur ab: Irgendwann triffst du auch einen Jungen, für den du so empfindest wie ich für Matt. Schon allein wenn er dann deine Hand hält, hast du das Gefühl, dass …« Sie hielt inne und suchte nach den richtigen Worten.
»… dass die Welt einen Moment lang stillsteht und nichts anderes mehr existiert«, beendete Lilith leise ihren Satz. Seit dem letzten Winter versuchte sie die Erinnerung an die Nacht zu verdrängen, als Matt und sie auf dem Friedhof glaubten, von dem Werwolfsrudel zerfleischt zu werden, und sie sich an den Händen gehalten hatten. Am Anfang hatte sie überlegt, ob sie Emma von diesem magischen Moment erzählen sollte, doch sie hatte immer den richtigen Augenblick verpasst und irgendwann schien es zu spät dafür zu sein. Lilith wollte auf keinen Fall das Risiko eingehen, ihre beste Freundin zu verlieren. Schließlich bestand die Möglichkeit, dass sie sich diese besondere Verbindung zu Matt nur eingebildet hatte.
»Ja genau, so fühlt es sich an!«, jubelte Emma. »Woher weißt du das?«
Lilith räusperte sich. »Ich habe nur versucht, mich in dich hineinzuversetzen.«
Emmas Miene verdunkelte sich so plötzlich, dass Lilith unruhig auf dem Bett herumrutschte. War sie ihrem kleinen Geheimnis etwa auf die Schliche gekommen?
»Das Dumme ist, dass die Sache zwischen mir und Matt alles viel schwieriger macht«, sagte sie betrübt. »Niemand hatte erwartet, dass ich mich tatsächlich zur Hexe wandle und nun stehe ich vor meiner siebten Prüfung. Manchmal wünschte ich, ich würde aufwachen und alles war nur ein Traum.«
Schon oft hatten sie darüber diskutiert, ob Emmas Wandlung dank der Seelengrubler möglich gewesen war, die sie nachts auf dem Friedhof eingefangen hatten und die angeblich die Wandlung einer Hexe positiv beeinflussen konnten.
Allerdings würden sie auf diese Frage wohl niemals eine Antwort finden.
»Aber das ist es doch, was du dir von ganzem Herzen gewünscht hast!«, erinnerte Lilith sie. »Deine größte Angst war, eine Socor zu werden.«
»Ich wollte nur eine ganz normale Hexe sein! Natürlich nicht gerade eine niedere Unken-Hexe, deren magische Fähigkeiten sich darauf beschränken, permanent nahendes Unheil zu verkünden und an jeder noch so guten Situation eine schlechte Seite zu entdecken. Aber mir hätte es voll und ganz ausgereicht, eine Hexe des vierten Kreises zu werden wie meine Mutter. Ich weiß nicht einmal, ob ich die Prüfung heute bestehen will. Wenn ich durchfalle, müsste ich mich wenigstens nicht entscheiden …« Sie stieß einen herzerweichenden Seufzer aus.
Lilith verstand überhaupt nichts mehr. »Entscheiden? Zwischen was denn?«
Emma zögerte und biss sich auf die Lippen.
Obwohl Lilith sie nicht drängen wollte, setzte sie hinzu: »Bitte, Emma, dich bedrückt doch etwas! Du weißt, dass du mir vertrauen kannst, ich werde bestimmt niemandem davon erzählen.«
»Da dich der Hexenzirkel sowieso zur Prüfung eingeladen hat, kann ich es dir wahrscheinlich verraten«, meinte Emma, nachdem sie einige Zeit grübelnd ins Leere gestarrt hatte. Sie holte tief Luft, wie um sich Mut zu machen. »Heute wird sich herausstellen, welchen Dämonengrad ich besitze. Eine Hexe des siebten Kreises hat sozusagen die freie Auswahl und kann sich der Magie des mächtigsten Dämons bedienen. Natürlich erwarten alle von mir, dass ich genau das tun werde. Ich habe sogar einen Brief von der obersten Zirkelanführerin Lutmilla Honigfleck erhalten, in dem sie mir für heute Abend viel Erfolg wünscht.«
Die meisten Nocturi besaßen ihre übernatürlichen Kräfte allein durch ihre Wandlung, doch Lilith wusste, dass die Sache bei Magiern und Hexen etwas komplizierter war. Ihre Fähigkeit bestand darin, sich mittels schwieriger magischer Anrufungen der Kraft eines Dämons bedienen zu können. Dies war jedoch nicht nur zeitaufwendig, sondern auch sehr gefährlich, denn die aus dem Schattenreich gewaltsam herbeizitierten Dämonen waren nicht gerade erfreut, ihnen zu Diensten sein zu müssen, und sie nutzten jede Schwachstelle des Beschwörungsrituals, um sich an der Hexe oder dem Magier zu rächen oder sie gar zu töten. Irgendwann beschloss man, den
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