Lilith Parker, und das Blutstein-Amulett (German Edition)
habt an alles gedacht. Ich glaube, in unseren Gästezimmern in Nightfallcastle werden unsere Besucher höchstens ein paar Handtücher und zahlreiche Spinnennetze als Dekoration vorfinden.«
»Auch Minimalismus hat seinen Charme«, erwiderte er mit taktvollem Lächeln.
Matt probierte den Eistee und verzog angewidert das Gesicht. »Igitt, das schmeckt ja wie ein Saunaaufguss!«
Erschrocken sah er zu Nikolai. »Oh, Entschuldigung, ich wollte nicht unhöflich sein.«
Doch Nikolai stieß ein amüsiertes Lachen aus. »Ich finde, du hast den Geschmack exakt beschrieben. Der Eistee würde ohne Igors Geheimzutat weitaus größeren Anklang finden. Jetzt mache ich euch aber endlich mit einigen Gästen bekannt. Die meisten können es wahrscheinlich kaum erwarten, die Trägerin des Bernstein-Amuletts persönlich kennenzulernen.«
Lilith spürte, wie sich ihr Magen sofort zu einem Klumpen zusammenzog; genau vor solchen Augenblicken fürchtete sie sich. Sie hatte immer das Gefühl, die Leute erwarteten etwas Besonderes von ihr, dass sie etwas außergewöhnlich Kluges oder Bedeutungsvolles von sich gab. Doch schließlich war sie in Wahrheit niemand Besonderes, nur Lilith Parker. Wo war eigentlich Rebekka, wenn man sie brauchte?
»Afina!«, rief Nikolai einer älteren, äußerst hageren Frau zu, die mit leerem Teller und gerunzelter Stirn an einem Tisch mit Appetithäppchen stand. »Darf ich dich mit Lilith und Matt aus Bonesdale bekannt machen? Lilith ist die Enkelin von Baron Nephelius und die Amulettträgerin der Nocturi«, stellte er sie vor. »Lilith, das ist Baronin Afina Theodosiu. Sie regelt die Belange des Stadtteils Zochat, einem äußerst wichtigen Bezirk Chavaleens, der für die öffentliche Ordnung zuständig ist und in dem sich unsere Ämter und das Gericht befinden.«
Die Baronin musterte sie von oben bis unten, ehe sie Lilith ihre Hand reichte, die nur aus Haut und Knochen zu bestehen schien. »Angenehm!«, sagte sie mit einer harten, freudlosen Stimme. »Du bist die neue Trägerin des Bernstein-Amuletts?«
»Das stimmt«, gab Lilith zurück. Sie überlegte fieberhaft, was sie als Gegenfrage erwidern konnte, und mit Bedauern musste sie feststellen, dass das Wetter als Gesprächsthema in Chavaleen leider wegfiel.
Doch Liliths knappe Antwort hatte anscheinend ausgereicht, um das Missfallen der Baronin zu erregen. Denn diese zog nun pikiert ihre Augenbrauen hoch, die nur aus zwei dünnen Strichen bestanden. »Dann ist das somit dein Dämon, der seine Finger in die Horsd’œuvre bohrt?«
Erst jetzt bemerkte Lilith, dass Strychnin ebenfalls am Tisch stand und ihr mit ein paar russischen Eiern über jedem Finger fröhlich zuwinkte.
Sie schloss gequält die Augen und wünschte sich, im Erdboden zu versinken. Wahrscheinlich wäre es klüger gewesen, wenn sie auf Rebekka gehört und Strychnin im Gästezimmer eingesperrt hätte. Auf der anderen Seite, so schaltete sich Liliths durch und durch rationale Stimme ein, würde sie Strychnin im Grunde nicht als ihr persönliches Eigentum bezeichnen, denn er war ein freier, eigenständiger Dämon, oder nicht?
»Nein, der gehört mir nicht«, schwindelte sie absolut wahrheitsgetreu.
»Doch, das tue ich!« Strychnin nickte eifrig. »Ich bin meiner Ladyschaft vom Ohrhaar bis zum Fußpilz treu ergeben. Wir haben sogar gemeinsam gegen den Erzdämon gekämpft!«
»Soso.« Am abschätzigen Blick der Baronin merkte man, dass sie Strychnin nicht nur zutiefst verabscheute, sondern ihm auch kein Wort glaubte. »Du scheinst jedenfalls die gleiche Einstellung zur Wahrheit zu pflegen wie deine Herrin.«
Hilfe suchend sah Lilith zu Matt, der eine wegwerfende Handbewegung machte und ihr aufmunternd zulächelte. Wahrscheinlich wollte er ihr damit signalisieren, dass sie locker bleiben sollte.
»Du solltest nicht so streng urteilen, Afina!«, schaltete sich Nikolai ein. »Schließlich wissen wir alle, wie unberechenbar Dämonen sind, und dieses Exemplar scheint trotz seines Auftretens auch seine guten Seiten zu haben. Wir Vampire heißen auch die Diener unserer Gäste in unseren Hallen immer herzlich willkommen, nicht wahr?« Trotz seines Lächelns spürte Lilith die unterschwellige Ermahnung, die in seinen Worten lag. Die Baronin versteifte sich unwillkürlich und versuchte sich zum ersten Mal an einer freundlichen Miene.
»Natürlich, Nikolai«, erwiderte sie noch förmlicher als zuvor. »Mein Arbeitsgebiet bringt es leider mit sich, dass ich auch im Privatleben zur Strenge neige.
Weitere Kostenlose Bücher