Lilith Parker, und das Blutstein-Amulett (German Edition)
über die Malecorax nachzugrübeln begann. Wenn doch nur Matt oder jemand anderes die Krähe ebenfalls gesehen hätte! Vielleicht hatte sie sich alles nur eingebildet, weil Belials Erscheinen eine wunderbare Erklärung für all die merkwürdigen Vorfälle abgeben würde und es so einfach wäre, ihn für Vadims mysteriöse Krankheit verantwortlich zu machen, genauso wie ihn als Spion der Vanator zu entlarven. Doch selbst wenn sich der Erzdämon tatsächlich in Chavaleen aufhielt, musste das noch lange nicht heißen, dass er an allem, was geschehen war, die Schuld trug. Lilith hatte selbst erlebt, wie zerstritten die Vampire untereinander waren und dass Nikolai und André nicht einmal den Verwaltern ihrer Bezirke uneingeschränkt vertrauen konnten. Sie fuhr sich erschöpft über das Gesicht, in ihrem Kopf drehte sich alles.
Wie sollte es nun weitergehen? Da die Zeremonie vorüber und Vadim gestorben war, konnten sie eigentlich nach Bonesdale zurückkehren; Matt würde sowieso bald zu seinem Vater weiterreisen. Allerdings musste Rebekka erst einmal wieder zu Kräften kommen und sich erholen. Es war unvernünftig von ihr gewesen, nicht früher um Liliths Hilfe zu bitten, damit sie sich diese schwere Aufgabe teilen konnten. Sie dachte an Rebekkas kaum verständliche Äußerungen, als sie wieder zu sich gekommen war. Hatte Rebekka nicht gesagt, dass sie keine Kraft mehr hatte, Vadims Seele zu lösen? Erst jetzt wurde Lilith bewusst, wie merkwürdig diese Aussage war, denn normalerweise bedurfte es dafür keiner Banshee. Eine Todesfee konnte einem Sterbenden den Übergang erleichtern, im Grunde war es jedoch ein Prozess, der von selbst vonstatten ging. Vielleicht war etwas schiefgegangen? Rebekka schien wegen dieser Sache völlig außer sich zu sein. Lilith kaute nachdenklich auf ihrer Unterlippe. Sollte sie nicht lieber überprüfen, was es mit Rebekkas rätselhaften Worten auf sich hatte?
Sie stand auf und trat zaghaft ans Bett. Mit jeder Minute, die vergangen war, hatte der Tod stärker seine Spuren in Vadims Gesicht hinterlassen. Lilith konnte in ihm kaum noch den Mann erkennen, den sie in Benin kennengelernt hatte, und sie musste sich dazu durchringen, ihre Hände auf seine totenkalte Haut zu legen. Noch nie hatte sie versucht, in den Geist eines Verstorbenen einzudringen, denn Vadims Bewusstsein musste seinen Körper bereits verlassen haben, und nur Nekromanten konnten jetzt noch mit seiner Seele in Kontakt treten. Deswegen überraschte es sie auch nicht, dass sie sich nach dem Aufrufen der Symphorien in einer weißen unendlichen Leere wiederfand. Hier gab es nichts mehr, keine Gefühle, keine Erinnerungen, kein Leben. Rebekka musste sich getäuscht haben! Sowohl fasziniert als auch traurig über die Tatsache, dass allein dieses farblose Nichts von einem langen, erfüllten Leben übrig geblieben war, wandelte Lilith umher und stieß dabei auf einen silbernen, straff gespannten Faden, so fein und unwirklich, dass er leicht zu übersehen war. Sie konnte nicht erkennen, wie oder woran er befestigt war, denn er kam unter ihr aus der Leere und verlor sich über ihr im Nichts. Lilith hatte keine Ahnung, was er zu bedeuten hatte, aber sie wusste eines: Dieser Faden gehörte hier nicht her! Vielleicht war es ein letzter winziger Teil von Vadims Seele, den irgendetwas davon abhielt, sich zu lösen? Genau davon musste Rebekka gesprochen haben, deswegen hatte sie sich so aufgeregt.
Sofort machte Lilith sich mit Feuereifer daran, Rebekkas Arbeit zu vollenden und die Verbindung zu trennen. Wenn Vadim in den letzten Wochen seines Lebens die Hölle durchlebt hatte, so sollte er wenigstens im Tod seinen Frieden finden! Lilith setzte ihre ganze Macht ein, bediente sich aller Hilfsmittel, die Imogen ihr beigebracht hatte, aber der Faden blieb unverändert bestehen. Entschlossen machte sie weiter, doch irgendwann waren auch ihre Kräfte bis auf den kleinsten Rest aufgebraucht und Lilith musste sich ihr Scheitern eingestehen. Dieser Faden war nicht zufällig entstanden, hier war eine fremde Magie am Werk, die über den Tod hinausging und gegen die sie nichts ausrichten konnte.
Als sie die Augen wieder aufschlug, atmete sie schwer und ein Übelkeit erregender Schwindel erfasste Lilith. Sie konnte von Glück sagen, dass sie sich in den letzten Tagen nicht verausgabt hatte und ihr Körper nicht ebenso geschwächt war wie Rebekkas. Kraftlos zog sie ihre Hände von Vadims Stirn und seinem Herzen. »Es tut mir so leid«, flüsterte sie,
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