Lilith Parker
gerne verzichten.
»Aber dir wird überhaupt nichts passieren«, meinte Emma im Brustton der Ãberzeugung. »Damit die Burg niemals in fremde Hände gerät, haben deine Vorfahren diesen Zauber als Sicherheitsvorkehrung schon vor vielen Jahrhunderten gleich nach der Erbauung anbringen lassen. Doch du musst überhaupt keine Angst haben. Tritt ein, Nephelius, nur Mut â sie erkennen dein edles Blut! «
»Schon«, antwortete Lilith gedehnt und vergrub ihre Hände in ihren Jackentaschen. Diese Sache war ihr nicht ganz geheuer.
»Geht nicht zu den Wächtern«, mischte sich Strychnin ein und schürte damit ihre Bedenken. »Ihr habt doch gesehen, wie unberechenbar die sind.«
Unsicher wandte sich Lilith an Matt. »Was meinst du denn dazu?«
Er wiegte nachdenklich den Kopf hin und her. »Im Gegensatz zu Strychnin weiÃt du, was dich im schlimmsten Fall erwartet. Wenn du auf der Hut bist und die Wächter tatsächlich ihre Speere auf dich richten wollen, könntest du noch rechtzeitig wegspringen.«
Damit hatte er nicht ganz unrecht. Abgesehen davon war sie die Enkelin des Barons und die Inschrift besagte eindeutig, dass sie keine Angst zu haben brauchte. Wahrscheinlich ging sie tatsächlich keine groÃe Gefahr ein, wenn sie es wagte â¦
»Also gut, ich mache es.«
»Ich bin so gespannt!« Emma hüpfte vor Freude auf und ab. »Gleich werde ich eine der Ersten sein, die zum ersten Mal seit dreizehn Jahren Nightfallcastle betritt. Das ist so aufregend.«
»Warte noch einen Moment!« Matt nahm seinen Schal ab und wickelte ihn Lilith mehrmals um den Hals. »Zur Sicherheit. Er ist zwar nicht aus Eisen, aber so bist du wenigstens etwas geschützt.«
Lilith lächelte ihn dankbar an, dann ging sie langsam auf das Tor zu. Während sie sich Schritt für Schritt näherte, versuchte sie, Strychnins unheilvolles Wimmern hinter sich zu ignorieren. Schon von Weitem waren ihr die Greife groà und eindrucksvoll erschienen â nun, da sie direkt vor ihnen stand, überragten ihre massigen Löwenkörper sie um einige Haupteslängen und mit Schaudern betrachtete sie die vor Kraft strotzenden Körper, krallenbewehrten Tatzen und spitzen Schnäbel. Ein vielstimmiges Knacken lieà sie zusammenzucken und ängstlich auf die Greife starren â bis ihr klar wurde, dass sie nur auf eine gefrorene Pfütze getreten war. Wie ein zersplitternder Spiegel war das Eis unter ihren FüÃen in hundert Einzelteile zerbrochen.
Lilith sah wieder auf, atmete tief ein und trat entschieden auf das Tor zu.
»Ich ⦠ich bin eine Nephelius-Erbin«, sagte sie und ihre Stimme klang dabei alles andere als selbstsicher, »und möchte Nightfallcastle betreten.«
Die Greife erwachten zum Leben.
Liliths Herz klopfte ihr bis zum Hals. Plötzlich überkamensie Zweifel, ob sie bei einem Angriff der Greife tatsächlich schnell genug reagieren konnte â¦
Mit einem steinernen Knirschen wandten die Wächter Lilith ihre Adlerköpfe zu und stellten die Speere, genau wie bei Strychnin, neben sich. Der entscheidende Moment war gekommen.
»Du weiÃt doch: Nur Mut, Nephelius! «, rief ihr Emma zu.
Strychnin dagegen stieà ein tief empfundenes Schluchzen aus, gefolgt von einem halb gemurmelten: »Elender Dämonenrotz, wenn sie stirbt, muss ich ins Schattenreich zurück.«
Liliths Beine fühlten sich steif an, als sie einen weiteren Schritt auf das Tor zumachte. Ihre Augen huschten so schnell zwischen den Wächtern hin und her, dass ihr schwindelig wurde. Noch immer starrten sie Lilith unentwegt an und schienen jede ihrer Bewegungen zu verfolgen, doch offenbar hatten sie nicht vor, Lilith aufzuhalten.
Sie hob ihre Hand. Langsam, ganz langsam näherten sich ihre Finger dem Riegel, der das Tor verschlossen hielt. Liliths Herzschlag beschleunigte sich noch einmal: Gleich würde sie die Burg ihrer Vorfahren betreten, das frühere Zuhause ihrer Mutter!
Zuerst hörte Lilith das Knirschen â erst dann nahm sie aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahr. Die Speere sausten von beiden Seiten auf sie zu.
Es ging so schnell, dass sie nicht einmal Gelegenheit hatte zurückzuzucken. Mit einem pfeifenden Geräusch näherten sich ihr die Speere und der Luftzug streifte über ihr Gesicht.
Dann verharrten die Wächter wieder in ihrer steinernen Regungslosigkeit. Lilith nahm die
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