Lilith Parker
Blicken, die ihr für den Bruchteil einer Sekunde begegneten, schienen lediglich Neugierde und Ãberraschung zu liegen. Was im Grunde nicht verwunderlich war, denn Lilith musste sich eingestehen, dass sie seit ihrer Ankunft in Bonesdale schonfür einige Unruhe gesorgt hatte. Immerhin hatte sie mit Belial gekämpft, war zur Trägerin des Bernstein-Amuletts auserwählt und zu einer Gerichtsverhandlung des Rats geladen worden. Eigentlich, so wurde Lilith klar, war es völlig normal, dass die Leute sie verstohlen beobachteten ⦠Wahrscheinlich wäre es ihr an deren Stelle nicht anders ergangen.
Erst jetzt bemerkte sie, dass Scrope ihre Verunsicherung offensichtlich ausgekostet und sich ein Ausdruck triumphaler Genugtuung auf seinem Gesicht ausgebreitet hatte. Lilith biss verärgert die Zähne zusammen.
»Ich glaube, dass Sie sich etwas zu sehr um mich sorgen«, entgegnete sie. »Nur weil ich einen Menschen wegen eines Notfalls in unser Geheimnis eingeweiht habe, hält mich sicher niemand für eine Schwerverbrecherin.«
»Du solltest die Anklage nicht so herunterspielen, Kind«, sagte er und stieà einen tiefen Seufzer aus. »Wenn ich nur an die unglückselige Elisabeth Burkley denke, die diesem Knüttelsiel all unsere Geheimnisse verraten hat. Die Arme musste schwer für diesen Fehler bezahlen, soviel ich weiÃ, sitzt sie noch heute in einer Londoner Klinik für Geisteskrankheiten.«
Lilith schluckte schwer. Genau das hatte sie Matt und Emma bisher verschwiegen, denn der Entzug ihrer magischen Kräfte und die Auslöschung ihrer Erinnerung machte ihr noch mehr Angst, als aus Bonesdale verbannt zu werden. Die Einzige, bei der dies schon einmal durchgeführt wurde, war die besagte Elisabeth Burkley und ihr Gehirn hatte es alles andere als gut verkraftet.
»Sehr bedauerlich, diese Geschichte, aber wir hatten schlieÃlich auch keine Erfahrung mit diesen Dingen.« Scrope zuckte entschuldigend mit den Schultern. »Bei dir werden die Magier sicher nicht mehr so stümperhaft vorgehen.«
Lilith wollte etwas erwidern, doch ihr Mund fühlte sich so trocken an, dass sie keinen Ton herausbrachte.
»Lilith?«, hörte sie in diesem Moment jemanden rufen. Dankbar für die Unterbrechung wandte sie sich um und entdeckte Emma, die ihr aus der Menge heraus zuwinkte.
»Da ist meine Freundin, ich sollte mal zu ihr gehen.« Die Erleichterung, die in ihrer Stimme mitschwang, war wahrscheinlich nicht zu überhören.
Scrope kniff die Augen zusammen. »Ist das nicht die kleine Emma Middleton? Hältst du das für den richtigen Umgang?«
Was sollte das nun wieder bedeuten? Anscheinend hatte Scrope noch nicht genug davon, sein bösartiges Gift zu verbreiten.
»Emma ist meine beste Freundin«, zischte sie entnervt, »und ich wüsste nicht, was daran falsch sein sollte.«
»Du stammst aus einer hochgestellten Familie, Lilith, und strebst ein angesehenes Amt an, da solltest du dich nicht mit einer Socor abgeben.«
Sie blinzelte überrascht, auÃerstande, diese Information einzuordnen. »Ihr dreizehnter Geburtstag steht doch noch bevor, wie können Sie Emma denn schon jetzt als Socor bezeichnen?«
»Soweit ich informiert bin, überspringt die Gabe in ihrerFamilie immer eine Generation. Ihre Aussichten, sich zur Hexe zu wandeln, sind ⦠wie soll ich sagen â¦Â«, er wedelte suchend mit seinen dicken Fingern in der Luft herum, »⦠aberwitzig gering! «
»Oh nein«, hauchte Lilith betroffen. Mit keinem Wort hatte Emma dies je erwähnt. Doch erklärte es nicht ihr seltsames Verhalten, wenn die Sprache auf ihre bevorstehende Wandlung fiel? Jedes Mal begannen ihre Augen voller Sehnsucht aufzuleuchten und ihre Wangen glühten wie im Fieber, als spräche sie von ihrem geheimsten und unerreichbarsten Traum. Nur zu gut konnte sich Lilith daran erinnern, wie Emma ihr im Schattenwald zum ersten Mal von den Socor erzählt hatte â und die Abfälligkeit, die dabei in ihrer Stimme lag. Doch Emmas Ablehnung gegenüber der Socor war in Wahrheit nur die Angst, selbst eine zu werden â¦
Scrope tätschelte Liliths Wange und sie musste gegen den Impuls ankämpfen, seine Hand einfach wegzuschlagen. »Jetzt schau nicht so schockiert, Kindchen, du kannst dich ja noch nach einem standesgemäÃeren Umgang umsehen. So, nun muss ich aber schleunigst die anderen Nocturi
Weitere Kostenlose Bücher