Lilith Parker
davon erzählen. Den ganzen Nachmittag über war sie in Gedanken jedes Mädchen und jede junge Frau in Bonesdale durchgegangen, die ihre Statur hatte, dieselben blauen Augen, das schwarze Haar und die blasse Haut, aber leider gab es nur eine einzige Person, auf die all diese Merkmale zutrafen: sie selbst, Lilith Parker. Doch wie konnte das sein? Sie war sich absolut sicher, dass sie Amaro nicht getötet hatte. Sie war abends früh ins Bett gegangen und am nächsten Morgen nach tiefem Schlaf wieder erwacht. Allerdings hatte sie sich den ganzen Tag über merkwürdig erschöpft gefühlt, als ob sie die halbe Nacht auf den Beinen gewesen wäre ⦠Vielleicht konnte sie sich nur nicht mehr an ihren nächtlichen Ausflug ins Kuriositätenkabinett erinnern?
Lilith wich dem Blick ihrer Tante aus und starrte zu Boden.»Wenn ich heute verurteilt werde, können mir Scrope und seine Verdächtigungen sowieso gleichgültig sein. Warten wir erst einmal die Verhandlung ab.«
Mildred zuckte zusammen. »Die Verhandlung, ach herrje, wir müssen wirklich weiter! Es macht einen ganz schlechten Eindruck, wenn wir zu spät kommen.«
Sie zog Lilith mit sich den Hügel hinauf zu den Portalgräbern, deren Zentrum von einem Fackelkreis erleuchtet war. Die Steinformationen erinnerten Lilith an Stonehenge, das sie schon einmal mit ihrer Londoner Schulklasse besichtigt hatte. Wieder einmal bewunderte sie die Willenskraft, die die Menschen vor Tausenden von Jahren dazu befähigt hatte, diese riesigen Megalithen ohne nennenswerte Hilfsmittel hierherzuschaffen und aus ihnen die Druiden-Altare zu errichten.
Mildred schloss die Augen und sog tief die Luft ein. »Spürst du die Kraft dieses Ortes? Sie ist hier so stark, dass sogar Menschen sie wahrnehmen können.«
Auch Lilith fühlte die Energie in sich einströmen. Es war fast wie damals, als sie zum ersten Mal St. Nephelius betreten und den Herzschlag der Insel gespürt hatte. Die Nocturi waren mit der uralten Macht, die durch die Insel strömte, tief verbunden.
»Da seid ihr ja endlich!« Scrope lief mit säuerlicher Miene auf sie zu. »Das wurde auch langsam Zeit.«
»Aber bis auf uns ist überhaupt noch niemand hier«, verteidigte sich Lilith. »Wo sind denn die anderen?«
»Jedes Mal wenn der Rat der Vier zusammentritt, wechseln wir uns mit dem Versammlungsort ab«, erklärte Scropeschroff. »Heute werden wir uns bei der Trägerin des Mondstein-Amuletts in Benin zusammenfinden.«
Lilith blinzelte irritiert. »In Westafrika? Und wie kommen wir dahin?«
»Auf altem Land gibt es Kraftzentren, die miteinander in Verbindung stehen und deren Magie so stark ist, dass man für eine kurze Zeitspanne ein Portal zwischen den Orten errichten kann. Regius hat schon alle Vorbereitungen getroffen.« Er nickte dem Magier zu. »Ãffne das Portal!«
»Ich bin freiwillig hier, Zachary, und nicht als dein Sklave, dem du Befehle erteilen kannst«, knurrte Regius und stapfte auf die gröÃte Steinformation zu, die zu einem Tor zusammengefügt war. Im Deckstein war eine runde Stelle eingemeiÃelt, in die er nun eine Art Kompass einsetzte. Die Apparatur bestand aus verschiedenen Kreisen mit Runen und Sternbildern, die sich nun automatisch zu drehen begannen und mit einem leisen Klicken einrasteten. Jede Himmelsrichtung war mit einem Stein der vier Amulette versehen, nur an einer Stelle klaffte ein Loch: das Onyx-Amulett fehlte.
»Haben die Versammlungen auch schon einmal bei den Dämonen im Schattenreich stattgefunden?«, fragte Lilith.
»Nein«, murmelte Regius, ohne die Apparatur aus den Augen zu lassen. »Laut meinen Berechnungen würde es unseren Körper zerstören, wenn wir versuchen überzutreten.«
»Wird der Erzdämon heute auch anwesend sein?«, fragte sie mit belegter Stimme. Bisher war ihr der Gedanke noch gar nicht gekommen, doch immerhin war Belial offiziell ein Mitglied des Rats.
»Wir haben den Träger des Onyx-Amuletts über das Treffen in Kenntnis gesetzt«, antwortete Scrope. »Aber wie in den vergangenen dreizehn Jahren haben wir auch dieses Mal keine Antwort aus dem Schattenreich erhalten. Die Dämonen haben sich vollständig aus unserer Welt zurückgezogen und interessieren sich nicht mehr für unsere Belange.«
»Hoffentlich«, hörte Lilith ihre Tante murmeln. Irgendetwas hatte sie für die
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