Lilith Parker
noch einige Fragen, auch Belial. Er war bestens vorbereitet und Lilith besaà mit ihren dreizehn Jahren nicht die raffinierten rhetorischen Fähigkeiten, durch die sie ihn dazu hätte bringen können, sich selbst zu verraten. So stand sie völlig hilflos vor dem Rat und musste mit anhören, wie er sie, ohne mit der Wimper zu zucken, als Lügnerin bezeichnete.
»Ich bin wirklich froh, dass ich heute an dieser Versammlung teilnehme, um verhindern zu können, dass der Rat deiner rührseligen Geschichte Glauben schenkt«,verkündete er, während er seinen Anzug glatt strich. »Du bist alt genug, um die Konsequenzen für dein Verhalten zu tragen, und mich ohne Beweis dieser abscheulichen Taten zu bezichtigen, ist nicht akzeptabel. Vielleicht ist dein Vater von einem Gestaltwandler oder einem gewöhnlichen Kriminellen entführt worden, aber auf keinen Fall von mir. Doch wahrscheinlich ist auch diese angebliche Entführung nur deiner Fantasie entsprungen. Soviel ich weiÃ, war auÃer dir, deinem Vater und dem Menschenjungen niemand auf dieser Lichtung, und das, obwohl die halbe Einwohnerschaft Bonesdales das Kindermoor durchkämmt hat. Stimmt das?«
»Das ⦠ist richtig«, presste Lilith mühsam hervor. Hilfe suchend sah sie zu Fayola, die mit undurchdringlicher Miene in ihrem Stuhl saÃ.
»Wir danken dir, Lilith. Könntest du jetzt deine Tante zu uns bitten?«
Während Mildred vor den Rat trat, sank Lilith in der Hütte kraftlos auf den Schemel und kämpfte mit den Tränen. Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass diese Verhandlung noch ein positives Ende nahm. Ob Scrope sich mit der Vollstreckung des Urteils noch Zeit lassen würde, damit sie sich von allen verabschieden konnte? Wahrscheinlich nicht. So wie sie ihn einschätzte, hatte er schon alles in die Wege geleitet, um Liliths Erinnerungen sofort bei ihrer Rückkehr nach Bonesdale auszulöschen und sie von der Insel zu verbannen. Bei dem Gedanken versetzte es ihrem Herzen einen schmerzhaften Stich. Mildred, Arthur und die anderen Heimbewohner, Emma und Matt âalle wären nur noch Fremde für sie. Und alles, was sie in den letzten Wochen und Monaten gemeinsam erlebt und durchgemacht hatten, wäre für Lilith nie geschehen. Sicher, es gäbe keinen Belial mehr, keine gefährlichen Abenteuer oder Werwölfe, die sie in einer Vollmondnacht über den Friedhof jagten. Ihr Leben wäre wieder völlig normal und geregelt, ohne Magie und ohne Wunder. Lilith wischte sich eine Träne von der Wange. Sie wollte nicht mehr zurück! Sie hatte hinter den Vorhang geblickt und eine neue Welt entdeckt. Eine Welt, in der sie Freunde gefunden hatte und sich heimisch fühlte.
Der einzige Hoffnungsschimmer war, dass ihr Vater sie wahrscheinlich wieder bei sich aufnehmen würde, sobald sie ihre Bansheekräfte verloren hatte. Das setzte natürlich voraus, dass die Erinnerungsauslöschung problemlos funktionierte. Andernfalls erging es ihr womöglich wie der unglückseligen Elisabeth Burkley, die in einer Klinik für Geisteskranke saà und sich nicht einmal an ihren eigenen Namen erinnern konnte â¦
Lilith tastete nach ihrem Amulett, in der Hoffnung, dass es ihr Trost spenden würde, doch die beruhigende Wirkung blieb aus. Stattdessen wurde ihr bewusst, dass dies vielleicht der letzte Abend war, an dem sie das Amulett ihrer Mutter trug. Wenn sie Bonesdale verlassen musste, würde Cathy Nephelius wieder eine Fremde für sie sein und sie würde niemals herausfinden können, was in ihrer Todesnacht geschehen war.
Und wenn sie die Zeit bis zum Urteil nutzte und dies alles niederschrieb? Sie könnte sich eine Nachricht in ihreTasche stecken, in der sie sich selbst dazu aufforderte, unbedingt nach Bonesdale zu reisen, eine gewisse Mildred Parker zu suchen und â¦
»Lilith?«
Sie schreckte in die Höhe. Olubayo war eingetreten und sah sie mit ernster Miene an. »Der Rat der Vier ist so weit.«
»Schon?«
Sie hatte nicht damit gerechnet, dass Mildreds Befragung so schnell vorüber sein würde. War das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen?
Widerstrebend erhob sie sich und folgte ihm. Sie war froh, dass Mildred sie auf dem Weg zum Rat erwartete und wortlos ihre Hand ergriff. Gemeinsam traten sie vor Fayola und die anderen.
Die Trägerin des Mondstein-Amuletts schwieg quälend lange, als suche sie nach
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