Lilith Parker
den richtigen Worten.
»Als heutige Sprecherin des Rates werde ich nun das Urteil offiziell verkünden«, begann sie schlieÃlich. »Obwohl einige von uns der Meinung sind, dass du zwingende Gründe hattest, dich über die Regel der Verschwiegenheit hinwegzusetzen, konnte der Rat leider kein einstimmiges Urteil fällen. Es tut mir leid, Lilith, aber du wirst aus unserer Gemeinschaft ausgeschlossen. Zu deinem und dem Wohl der Welt der Untoten wird dir sowohl deine Kraft als auch deine Erinnerung entzogen. Sobald ihr nach Bonesdale zurückkehrt, wird das Urteil vollstreckt. Lilith, bitte übergib das Bernstein-Amulett dem stellvertretenden Führer der Nocturi!«
Lilith taumelte zurück. Sie hatte das Gefühl, in einenbodenlosen schwarzen Abgrund zu fallen. Halt suchend klammerte sie sich an die Hand ihrer Tante.
»Aber das könnt ihr nicht machen!«, rief Mildred. Ihre Stimme bebte vor Empörung. »Ihr wollt eine der wenigen Banshees, die es noch gibt, ihrer Kraft berauben? Seid ihr verrückt geworden? Sie ist doch nicht irgendjemand, sie ist die Enkelin von Baron Nephelius, die Trägerin des Bernstein-Amuletts! Dreizehn Jahre lang waren wir führerlos und ohne Schutz, Lilith ist die einzige Hoffnung für die Zukunft der Nocturi â erkennt ihr das denn nicht?«
»Was ist hier los?« Vadim sah verschlafen auf. Zum zweiten Mal an diesem Abend blickte er völlig verständnislos in die Runde. »Warum schreit die Blonde denn so hysterisch herum?«
»Lilith wurde schuldig gesprochen«, erklärte André ihm, »und ihre Tante ist mit dem Urteil nicht einverstanden. Sie meint, dass die Nocturi Lilith als Trägerin des Bernstein-Amuletts noch brauchen werden.«
Vadim blinzelte irritiert. »Wer ist die Trägerin des Bernstein-Amuletts?«
»Lilith Parker, die Angeklagte.«
»Was? Warum sagt mir das denn niemand?« Vadim richtete sich auf. »Lilians Tante hat vollkommen recht! Wir können sie gar nicht verurteilen. Wie ihr wisst, war ich zu der Zeit, als die Gesetze festgelegt wurden, der Berater meines Neffen und habe in dieser Funktion auch den Sitzungen beigewohnt. Ich kann mich an jeden einzelnen Paragrafen erinnern, da ich nämlich ein phänomenales Gedächtnis besitze.« Er lächelte stolz, während die anderenpeinlich berührt schwiegen. Selbst die zirpenden Zikaden schienen eine Pause einzulegen und verlegen in den Himmel zu starren.
»Deswegen kenne ich auch Paragraf 6976 im vierten Gesetzbuch, der da lautet: Um die Amulettträger im Laufe ihrer Regentschaft bei Fehlentscheidungen vor rechtlichen Konsequenzen zu schützen, wird festgelegt, dass alle Amulettträger ab dem Zeitpunkt ihrer Anwärterschaft Immunität besitzen. Die Anwärterschaft beginnt, sobald sich die Kette dank des magischen Verschlusses nicht mehr ablegen lässt und der Anwärter somit bereit ist, für die Führerschaft seines Volkes in den Tod zu gehen. Die mit diesem Gesetz ausgesprochene Immunität gilt bis zum Tod des Amulettträgers oder der Rückgabe des Amuletts .« Vadim hob belehrend den Zeigefinger. »Ich weià zwar nicht, was Lila angestellt hat, aber auf alle Fälle kann sie nicht dafür verurteilt werden. Warum kennt denn auÃer mir niemand diesen Paragrafen? Das ist doch wirklich schockierend.«
Fayola schnaubte auf. »Weil ihr damals ein bescheuertes Gesetz nach dem anderen verabschiedet habt und man mit diesen vier dicken Wälzern problemlos ein Schiff versenken könnte. Abgesehen davon sind nach dem zweiten Buch alle folgenden Gesetze völlig wahllos unter der Rubrik »Sonstiges« aufgeführt und ihr habt euch nicht einmal die Mühe gemacht, ein Stichwortverzeichnis anzulegen.«
Sie wandte sich, nun mit einem erleichterten Lächeln, an Lilith. »Es ist mir eine groÃe Freude, das vorherige Urteil wieder aufzuheben. Im Namen des Rats der Vier spreche ich dich frei, Lilith Parker! Und wenn ich mir die persönlicheAnmerkung gestatten darf: Ich kann es kaum erwarten, dich bei uns im Rat willkommen zu heiÃen.« Sie warf Scrope einen entnervten Seitenblick zu.
Mildred riss mit einem Jubelschrei die Arme in die Höhe. Lilith hatte fast den Eindruck, dass ihre Tante kurz davor war, um das Lagerfeuer zu tanzen und vor Dankbarkeit ein Huhn zu schlachten. Sie starrte völlig perplex in die Runde und konnte einfach nicht glauben, was soeben geschehen
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