Lilith - Wunschlos gluecklich
Zwischendurch nippte sie an ihrer Cola oder zupfte an den Resten ihres schon erkalteten Burgers herum, während sie die immer noch nicht abgeebbten Knutschgeräusche neben sich auszublenden versuchte. Um ehrlich zu sein, sie langweilte sich zu Tode. Noch dazu war sie müde. Sie hatte die vergangene Nacht so gut wie überhaupt nicht geschlafen, und das machte sich jetzt bemerkbar.
»Und nun Applaus für unseren letzten Teilnehmer«, dröhnte Toms Stimme durch das Cadillac und schrilles Pfeifen ertönte, da er dem Verstärker viel zu nahe gekommen war. Etwas pikiert stellte Tom das Mikrofon in den Ständer zurück.
Fast gleichgültig verharrte Liliths Blick auf der Bühne, während sie den Strohhalm aus ihrer Cola zog und die Flasche am Mund ansetzte. Doch als der Sänger hocherhobenen Hauptes hinter dem Vorhang hervortrat, musste sie unwillkürlich nach Luft schnappen. Die Cola wurde von Liliths stummem Aufschrei ruckartig in ihre Luftröhre katapultiert, was wiederum einen heftigen Hustenreiz auslöste. Braune, blubbernde Flüssigkeit stob ihr aus Nase und Mund, ihre Lungen zogen sich krampfhaft zusammen und zwangen sie, nach Luft zu ringen, obwohl sich das pappsüße Gebräu immer noch brodelnd einen Weg nach draußen bahnte. Lilith hatte das Gefühl zu ersticken. Alle wandten besorgt den Blick zu ihr, als ihr Jordan auf den Rücken klopfte, damit sie den Scheiß besser abhusten konnte.
Camille registrierte es als Erste. Dann Jordan, Beth und Damian. Mercedes folgte als Letzte den Blicken zur Bühne.
»Ist das … Ist das nicht dieser Kerl von gestern? Dieser Luc?«, fragte Mercedes und ihr Blick huschte zwischen ihm und ihr hastig hin und her.
Lilith nickte, wischte sich die Tränen aus den Augen und tupfte sich mit einer Serviette Mund und Kinn ab. Ein tiefer Atemzug bestätigte ihr, dass ihre Lungen endlich wieder frei waren. Zeit zum Durchatmen blieb ihr aber nicht.
Verstohlen glitt ihr Blick wieder zur Bühne zurück. Grüne Augen durchbohrten sie, hielten sie gefangen und Lilith konnte sich einfach nicht abwenden. Da stand wirklich Luc. Was hatte er jetzt wieder vor?
»Der ist ja wie ein Stalker«, flüsterte sie, ohne nachzudenken. Ihre Freunde sahen zu ihr, nur um Sekunden später schon wieder mit ihren Blicken an Luc zu kleben. Er schulterte seine Gitarre und stöpselte das Kabel in den Verstärker, ohne seine Augen von Lilith abzuwenden. Dann legte er los und Lilith blieb sprichwörtlich die Spucke weg. Er sang »Taking over me« von Evanescence, den Song einer ihrer Lieblingsbands. Wie lange hatte er wohl gebraucht, um sich für diesen Song zu entscheiden? Er handelte von jemandem, der sich erinnert, und seinem Gegenüber, der vergessen hat. Erinnern und vergessen. In dem Song ging es um sie beide, es war ihre Geschichte … Lilith verkrampfte. Lucs Stimme klang warm und tief, und er sang jede Zeile mit solcher Inbrunst, dass ihr eng ums Herz wurde. Er glaubte also immer noch, sie zu kennen. Nur leider war sie sich immer noch sicher … Na ja, so sicher sie sich eben sein konnte, dass sie ihn nicht kannte.
Nachdem er geendet und sich auf der Bühne verbeugt hatte, tobten die Gäste auf ihren Plätzen. Alle, außer Lilith und ihre Freunde. Sie waren die Einzigen, die zu keiner Regung fähig waren.
Aus allen Ecken wurde »Zugabe, Zugabe, Zugabe …« gerufen, bis Tom die Bühne betrat und dem Gebettel der tobenden Menge ein Ende setzte.
»Keine Zugaben«, mahnte er streng. »Wir wollen doch allen Teilnehmern die gleichen Bedingungen bieten, nicht wahr?« Er lächelte eine Spur zu breit. Sicherlich wusste auch er schon längst, wer dieses Jahr gewinnen würde. »Ich bitte euch nun, eure Stimmzettel abzugeben. Auf geht’s Leute. Wählt eure Favoriten.« Damit verließ er die Bühne und der Spot erlosch in seinem Rücken.
Lilith sprang auf und fegte dabei versehentlich ihre Flasche vom Tisch. »Wir sollten gehen«, bat sie, als die Flasche klirrend unter den Tisch kullerte und der Rest des braunen Getränks über ihre High Heels blubberte. »Er wird sicherlich gleich hier auftauchen … Bitte Leute«, drängte sie ihre Freunde. Aber da war es schon zu spät.
»Hi«, ertönte seine Stimme genau hinter ihr und bescherte ihr damit eine Gänsehaut. Er war nah – zu nah, sein Atem streifte ihr Ohr und sie erschauderte erneut. »Wie geht’s?«, erkundigte er sich, ohne ermessen zu können, welche tosenden Gefühlswallungen er in ihr auslöste.
Sie stand immer noch mit dem Rücken zu ihm.
»Hi,
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