Lilith - Wunschlos gluecklich
die Hand und gebot ihm damit, still zu sein. »Zum letzten Mal. Ich. Kenne. Dich. Nicht! Ich glaube, es wird Zeit, dass du dich damit abfindest, dann können wir vielleicht auch irgendwann wieder Freunde werden.« Sie wandte sich ab, ging zu ihren Freunden zurück und ließ ihn allein mit seinem Kummer.
Kapitel 22
Ein letzter Blick
L uc wanderte wahrscheinlich zum letzten Mal in seinem kurzen, halb irdischen Leben durch den Park. Ihm blieben noch genau sechs Stunden, zweiunddreißig Minuten und vierundfünfzig Sekunden, bevor er sich in Rauch auflösen würde und danach weder Mensch noch Dschinn sein konnte … Der Wind würde jedes einzelne seiner Moleküle auseinanderreißen und ihn einfach in alle Himmelsrichtungen davontreiben. Noch wusste er nicht, wie sich so etwas anfühlen würde … das Sterben. Aber er war sich sicher, dass es nicht angenehm für ihn werden würde. Und was dann? Was war man, wenn man Nichts war? Wenn man starb? Er wollte es nicht wissen, aber leider würde er diese Erfahrung wohl nicht abwenden können, nicht allein.
Er hatte alles verbockt. War er bis vor Kurzem froh, eine Chance als Mensch zu bekommen, wäre er nun gern wieder ein Dschinn. So könnte er sich wenigstens immer an Lilith erinnern. Aber so? Als ein großes, inexistentes Nichts würde ihm absolut gar nichts von Lilith bleiben.
Sicherlich war er zu aufdringlich gewesen oder vielleicht nicht aufdringlich genug? Hätte er einfühlsamer sein sollen oder fordernder? Freundlicher oder bestimmender? Hatte er in den vergangenen Tagen überhaupt auch nur eine Sekunde Einfluss auf irgendetwas gehabt?
Was machte er sich vor? Seine Zeit mit Lilith war vorbei, bevor sie begonnen hatte. Ihre Sturheit brach ihnen … brach ihm das Genick. Lilith konnte ihn schon als Dschinn mit ihrer eigenartigen und so unmenschlich abartigen Wunschlosigkeit zur Weißglut treiben. Warum sollte sie sich also ausgerechnet jetzt etwas wünschen? Und das sogar noch nicht einmal für sich, sondern für einen ihr absolut fremden jungen Mann.
Luc hätte es wissen müssen. Es war von Anfang an so klar … Nie hätte ihn das Tribunal ziehen lassen, nicht unter diesen Umständen. Sie wussten, dass sie ihn damit zum Tode verurteilten und er Idiot hatte an ihren guten Willen geglaubt. Sie hatten Jack absichtlich um sein Wächteramt betrogen, da er sich für ihn eingesetzt hatte. Ein Dschinn ist und bleibt ein Dschinn – immer.
Der Park war nicht gut besucht bei diesem kalten Wetter, aber dennoch fiel sein Blick hier und da immer wieder auf einige verliebte Pärchen und sein Herz wurde jedes Mal schwer wie Blei. Er blickte auf seine Armbanduhr. Noch fünf Stunden, neun Minuten und dreizehn Sekunden.
Luc sah auf und bemerkte, dass er sich schon wieder außerhalb des Parks Richtung Stadt befand. Er kannte sein Ziel … Er würde es jederzeit sogar mit verbundenen Augen finden. Er stand schon wieder vor Liliths Lieblingsclub, dem Cadillac. Es hätte auch sein Lieblingslokal werden können, doch er bekam keine wirkliche Chance. Dennoch, er liebte den Geruch im Cadillac, die Betriebsamkeit, das Leben, das dort herrschte. Ja, hier tobten das Leben und das menschliche Chaos in so vielen verschiedenen Facetten. Es war so ganz anders als das ruhige, geordnete Leben in Aslas. Auch deshalb hatte es ihn in den vergangenen Tagen wohl immer wieder an diesen Ort gezogen. Immer in der Hoffnung, Lilith anzutreffen und einen Blick auf das schönste Gesicht des gesamten Universums zu erhaschen, bevor es für ihn zu Ende ging. Ein paar Mal hatte er ja Glück gehabt. Er sollte dankbar dafür sein.
Er hatte vergeblich versucht, sie auf seine Seite zu ziehen. Die stille Hoffnung, es doch noch zu schaffen, hatte er jetzt nicht mehr, denn der Abend näherte sich unaufhaltsam mit seiner alles verschlingenden Dunkelheit. Außerdem war Lilith heute schon hier gewesen. Heute Nachmittag, als er sie ein letztes Mal gebeten hatte, ihm seinen Wunsch zu erfüllen. Wenn sie das nächste Mal auf ihren Lieblingstee ins Cadillac ging, würde es ihn sehr wahrscheinlich schon nicht mehr geben.
Luc befolgte die Anweisung an der Tür. Push. Im Inneren des Lokals empfingen ihn eine lärmende Menschenmenge, bekannte Gerüche und wohlige Wärme. Er suchte sich einen leeren Tisch im hinteren Drittel des Lokals, materialisierte etwas Kleingeld in seine Hosentasche und bestellte bei der Kellnerin ein Baguette und einen Jasmintee. Liliths Lieblingstee …
Vier Stunden, fünfundfünfzig
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