Liliths Hexentanz
Bewegungen überkletterte ich das Geländer und sprang direkt neben einer aufgestellten Verbotstafel in das Dünengelände.
Meine Füße berührten den Sand, der hart war, weil es schon gefroren hatte.
Ich wartete noch ab. Erst als der andere nicht reagierte, rannte ich auf ihn zu.
Er schien auf meine Handlung gewartet zu haben, denn als ich ging, richtete er sich auf und präsentierte mir seine nackte Brust, auf der der Wind die Fellfäden bewegte.
Auch das Gesicht konnte ich besser sehen. Die Haut dort war ebenfalls von einem dünnen Fell bedeckt, und, irgendwo dazwischen schimmerten die Augen.
Weder hell noch dunkel, auch nicht farbig, sondern in einer schon farblosen Blässe.
Ein Windstoß erwischte seinen Rücken und wehte das dort zusammengebundene Haar zur Seite.
Ich hörte einen Schrei.
Zuerst dachte ich, daß ihn eine Möwe oder ein anderer Wasservogel ausgestoßen hätte, aber es war der andere gewesen, denn sein Maul hatte sich geöffnet.
Er zuckte plötzlich zur Seite. Ich sah ihn noch für einen Moment, dann huschte er mit langen Schritten weg und war so schnell, daß für mich keine Chance bestand, ihn einzuholen.
Nachdenklich blieb ich im Gelände stehen. Den Mund wütend zusammengekniffen. Ich hätte ihn mir gern geholt und ihn aus der Nähe angeschaut. Zwar hatte ich ihn jetzt gesehen, ich hätte lügen müssen, wenn ich mir selbst sagte, mit ihm zurechtzukommen. Diese Person war mir ein Rätsel und würde auch noch eines bleiben.
Wer war er? Ein Mensch? Ein Tier? Eine Mischung? Oder war er eine Gestalt der Finsternis?
Letzteres schloß ich auf keinen Fall aus, denn die Morde auf dem Boot konnten durchaus von einem derartigen Wesen begangen worden sein.
Ich wußte zudem nicht, was alles im Hintergrund gespielt wurde, denn noch war ich Statist.
Aber ich wollte dorthin laufen, wo ich ihn zum letztenmal gesehen hatte.
Der Weg war kurz, führte mich aber durch Mulden und auch zweimal Abhänge hoch.
Auf einem Dünenkamm hatte er sich aufgehalten. Zudem an einer Fläche, die ziemlich frei war, so daß ich seine Fußabdrücke im Boden erkennen und untersuchen konnte.
Menschenfüße? In der Tat, aber dieser Mensch hatte keine Schuhe getragen. Die Abdrücke seiner nackten Füße malten sich ab, und dort, wo sich die Zehen befanden, sah ich ebenfalls kleine Mulden von unterschiedlicher Größe. Er mußte die Zehen angezogen und sie in den Untergrund gedrückt haben. Ich untersuchte auch die Abdrücke der Fersen. Es waren die Füße einer menschlichen Person.
Ein Mensch also. Obwohl ich so etwas wie einen Beweis hatte, wollte ich ihn nicht akzeptieren und schüttelte den Kopf. Kein normaler Mensch verhielt sich so, und kein normaler Mensch sah auch so aus wie er.
Diese Gestalt hatte keine Kleidung getragen, sie war nackt gewesen, da hatte ich mich nicht geirrt. Ein nackter Mensch aber würde bei diesen Temperaturen erfrieren.
Wen oder was hatte ich dann entdeckt?
Ich stand vor einem Rätsel und beschloß, ihn nicht als einen Menschen anzusehen, sondern mehr als eine Person. Eher noch als Unperson auf zwei Beinen, als einen Ableger der Hölle oder was auch immer.
Jedenfalls hatte ich ein zweites Rätsel zu lösen. Und dieses zweite Rätsel verband ich durchaus mit dem ersten. Es war gar nicht so weit hergeholt, das sagte mir mein Gefühl.
Die Tatsachen sprachen auch dafür, daß diese Unperson verschwunden war. Abgetaucht in diesem hügeligen Gelände, vielleicht auch in der Nähe der Häuser, wo sie ebenfalls Beute fand.
Menschen…
Mir wurde kälter, als ich daran dachte. In der Kehle spürte ich den Kloß, der vom Magen her in die Höhe gewandert war.
Mir wurde auch nicht warm ums Herz, als ich mich auf den Rückweg machte. Ich mußte an Jane Collins denken, die sich wegen meines Fernbleibens sicherlich schon Sorgen machte. Wichtig aber war, daß ich eine Spur gefunden hatte, obwohl ich den Zusammenhang zwischen den Taten und dieser Entdeckung noch nicht wußte.
Über den normalen Bohlenweg ging ich wieder zurück, bis ich die Steine unter den Füßen hatte.
Das Wasser klatschte gegen die Mauern. Die Wellen sahen grau aus, kein sommerliches Bild bot sich meinen Augen. Das hier war ein Strandleben für die echten Fans und nicht für die Sonnenanbeter und Urlaubsgäste.
Besorgt ging ich wieder zurück. Das graue Meer, die Häuser, die ebenfalls grau wirkten, sie spiegelten genau den Zustand meiner Seele wider.
***
Jane Collins hielt für einen Moment die Luft an. Sie kam sich
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