Liliths Kinder
und dran gewesen, das tiefe Reich zu stürmen. In letzter Minute hatten er und seine Freunde es verhindern können.
Aber Calot hatte damit gerechnet, daß es nicht bei diesem einen Versuch bleiben würde. So hatte er die Tiefen in abgelegenere und unzugänglichere Bereiche des Labyrinths geführt und hernach mit einer Anzahl von Männern Fallen dieser Art angelegt.
Ein gut getarntes Alarmsystem hatte ihnen verraten, daß ein Fremder ins tiefe Reich eingedrungen war, und so hatten sie sich an dieser Falle hier postiert - und die Tyrannin war prompt hineingetappt.
Töten jedoch wollte Calot sie nicht; es sei denn freilich, sie provozierte es. Er vermutete, daß der Tod Zapatas etwas ausgelöst hatte, das die anderen seiner Art erst auf ihre Spur geführt hatte. Wenn es sich also vermeiden ließ, wollte er ihnen nicht ein zweites solches Signal senden.
Trotzdem stand zu befürchten, daß die Tyrannen das Verschwinden ihrer Schwester über kurz oder lang bemerken und darauf reagieren würden. Und wenn sie auf die Idee kamen, alle zugleich ins tiefe Reich vorzudringen, standen die Chancen der hier Lebenden denkbar schlecht.
Diese Möglichkeit ließ nur einen Schluß zu .
Calot atmete tief und vernehmlich ein, und der Laut genügte, ihm die Aufmerksamkeit aller Anwesenden zu sichern.
»Es ist soweit«, sagte er nur.
»Du meinst -?« erwiderte einer zögernd.
»Ja. Wir können nicht länger warten.« Calot straffte sich. »Der Kampf gegen die Tyrannen und für die Freiheit Mayabs beginnt.«
»Hast du denn einen Plan?« fragte jemand.
Calot senkte den Kopf, und als könne er sie sehen, richtete er den Blick seiner blinden Augen auf die vor seinen Füßen brennenden Feuer.
»Den habe ich«, erwiderte er schließlich. »Nur brauchen wir Hilfe, um ihn in die Tat umzusetzen.«
Jeder ahnte, wovon Calot sprach, und wie auf ein geheimes Kommando hin richteten ausnahmslos alle den toten Blick nach oben ...
Calot teilte eine Handvoll Männer ein, die dafür zu sorgen hatten, daß das Feuer über der Grube nicht verlosch. Den anderen hieß er, ihm zu folgen.
Dorthin, wo die meisten von ihnen seit vielen Jahren keinen Fuß mehr hingesetzt hatten.
Hinauf in die Welt, die ihnen Heimat gewesen war, bevor es sie ins tiefe Reich verschlagen hatte.
*
Mochten die Kelchkinder Mayabs auch vom selben Blute sein, so waren sie doch verschieden, was Denken und Charakter anging.
Atitla hatte seit jeher am leichtesten von allen die Beherrschung verloren und den größten Gefallen an purer Grausamkeit gefunden. So kam es, daß das Volk sie stets am meisten gefürchtet hatte.
Aber nie zuvor hatten die Menschen solchen Grund gehabt, vor Atitla zu erzittern, wie in der heutigen Nacht!
Denn heute war sie der Schrecken selbst; untotes Fleisch gewordene Wut. Und diese Wut würde sie ausleben heute, abladen - über den Köpfen derer, die das Pech hatten, von ihr auserkoren zu wer -den.
Die Wahl ihrer Opfer fiel Atitla leicht. Schließlich gab es da jene Familie, die sie vor Tagen heimgesucht hatte - und die Lilith vor dem Zugriff der Vampirin bewahrt hatte.
Nun, heute würde Atitla dort nicht an ihrer »Mutter« scheitern . Heute würde sie zum Zuge kommen!
Um ihren Zorn noch zu steigern, brauchte Atitla lediglich mit der Hand über ihr Haupt zu streichen. Rauh und rissig war die kahle Haut ihres Schädels, unheilbar verbrannt, als Lilith den Kopf der Vampirin im Kampf ins Feuer gedrückt hatte, um sie zur Aufgabe zu zwingen.
Dafür würden jetzt jene büßen, zu deren Wohl Lilith sich gegen Atitla gestellt hatte .
Durch das offene Fenster lauschte die Vampirin zunächst in die Adobehütte hinein. Die Atemzüge dreier Menschen vernahm sie, und deren Herzschlag: den ruhigen, dumpfen der Erwachsenen und den raschen, hellen eines noch sehr kleinen Herzens.
Diese Laute waren Reiz genug, um das Vampirische in Atitla gänzlich zum Vorschein treten zu lassen. Ihre Augzähne wuchsen, berührten mit ihren Spitzen die Unterlippe.
Lautlos wie ein Schatten glitt die Vampirin durch das Fenster, und ebenso unhörbar näherte sie sich dem schlafenden Paar.
Wen zuerst? fragte sie sich, ganz in der Art, wie ein Mensch vor reichgedeckter Tafel stehen mochte und die Qual der Wahl hatte, von welcher der aufgetragenen Speisen er zuerst kosten sollte.
Sie beugte sich nieder zu den Schlafenden, strich mit zu Krallen geformten Händen über sie, ohne sie jedoch zu berühren, während sie sich die Gesichter des Mannes und der Frau besah.
Er war jung
Weitere Kostenlose Bücher