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Lilli Steinbeck Bd. 1 - Die feine Nase der Lilli Steinbeck

Lilli Steinbeck Bd. 1 - Die feine Nase der Lilli Steinbeck

Titel: Lilli Steinbeck Bd. 1 - Die feine Nase der Lilli Steinbeck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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er zu sich selbst, verzog zweiflerisch den Mund, steckte sein Handy ein und trat aus der Toilette, gab seinem Mann ein Zeichen und kehrte zurück in den hohen Gastraum des Restaurants.
    Ein chinesisches Restaurant, könnte man sagten, was es de facto auch war, weil von Chinesen betrieben. Andererseits war es viel zu chic und trendy, um mit dem üblichen Drachenkitsch und Glutamatfraß in Verbindung gebracht zu werden. Eher besaß es die Eleganz einer durchgehenden Designertoilette, in der also definitiv nicht gepinkelt, sondern definitiv telefoniert wurde. Freilich wurde auch Essen serviert, so gesehen war es dann doch ein ausgesprochen traditionelles Restaurant.
    Desprez war hier in Paris aufgewachsen, er liebte die Stadt und hielt sich selbst für das Nonplusultra eines echten Franzosen. Das Elitäre, das er vertrat, stets vertreten hatte, erst recht als Kommandant einer Einheit der französischen Geheimpolizei, einer geheimeren als geheimen und spezielleren als speziellen Truppe, dieses Elitäre hatte er nie als etwas Willkürliches verstanden, sondern immer als etwas Notwendiges. Die Freiheit, von der alle sprachen, mußte nicht einfach nur verteidigt werden, nach innen wie nach außen, sondern sie brauchte ein Korsett, um überhaupt bestehen zu können. Ohne Korsett, so Desprez, fiel die Freiheit in sich zusammen. Die Zeit der Revolutionen war vorbei, was jetzt noch folgen konnte, war die simple Barbarei der Massen, ein Chaos ohne Sinn und Richtung, die Sprengung der Kultur, die Sprengung der Freiheit, die Sprengung Frankreichs.
    Desprez war kein Rechter, kein Faschist. Zumindest sah er sich nicht als solcher. Er verehrte Marat, liebte die Surrealisten, bewertete Simone de Beauvoir – trotz allem – als eine der letzten großen Damen und fand Entspannung bei der Lektüre neuerer Philosophen wie Glucksmann oder Baudrillard, deren Denken sein eigenes Denken anstachelte. Der Konservativismus der Großbürger war ihm zuwider. Er erkannte und anerkannte den Sinn einer modernen, sich verändernden Welt. Die Großbürger, die »falsche Klasse«, wie er das nannte, hielt er für Totengräber. Darum, weil sie alles nur halb taten. Weil sie meinten, ein halbes Korsett würde reichen. Was für ein Irrtum! Ein Korsett mußte perfekt sein, perfekt passen, durfte nicht verrutschen. Alles andere war sinnlos, die Liberalität eine Lüge. Was war ein Flugzeug denn wert, wenn es nur einen Flügel besaß? Ein Stier mit nur einem Horn? Ein halbes Gedicht? Ein Tag, der zu Mittag endete?
    Desprez hatte gemordet. Im Dienste des Staates. Er selbst war der letzte, der darin ein Problem sah. Schließlich hatte er niemals jemand gequält. Er hielt Folter für obsolet. Wer derartiges nötig hatte, hatte auch schon verloren, fand er. Folter war rückständig, persönlich motiviert, pathologisch und vor allem unökonomisch. Viel Schmerz, viel Gerede, viel Theater, aber kein Nutzen. Und genau diese Anschauung hatte ihm seinen Job gekostet. Indem er eben nicht gefoltert, sondern den Delinquenten, ein Mitglied der ETA, ohne Umstände liquidiert hatte. Was ohnehin am Programm gestanden war. Aber eben anders.
    Desprez war gefeuert worden. Und solcherart in der Privatwirtschaft gelandet. Im Reich der Spiele. Spiele, welche die Wirklichkeit sehr viel mehr bestimmten, als Desprez sich das hätte träumen lassen. Seit jeher, wie es schien. Immer schon hatten Menschen im großen Stil gespielt, die ganze Welt als ein bloßes Brett ansehend, mit all seinen Möglichkeiten, all seinen unzähligen, willenlosen Figuren. Spieler sind größenwahnsinnig, das ist nicht neu. Neu ist vielleicht, daß ihr Größenwahn auch funktioniert.
    Um einen runden Tisch aus weißem, glänzendem Kunststoff saß eine lärmende, lachende Gruppe von Frauen und Männern. Das Zentrum dieser Runde bildete ganz eindeutig eine großgewachsene Frau, die man sich um die Dreißig vorzustellen hat. Sie war äußerst kräftig gebaut, kräftig, nicht dicklich, mit breiten Schultern, einem vollen Busen und etwas hervorstehenden Backenknochen im hellen, aber nicht bleichen Gesicht. Nein, bleich war sie wirklich nicht, sehr viel eher der gesunde Typ, der seine Vormittage im Park verbrachte. Sie besaß ernste, schöne Augen. Ernst und schön, weil traurig. Wobei diese Traurigkeit frei von Sentiment war. Es war eine Traurigkeit, die aus sich heraus lebte. Frei von schlechten Erfahrungen. Die zumindest auch ohne schlechte Erfahrungen hätte bestehen können.
    Die Frau trug einen lichtgrauen,

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