Lilly Höschen (01): Walpurgismord
Also bis dann.«
Eine dreiviertel Stunde später saßen Kommissar Schneider und seine junge Assistentin an Lillys Esszimmertisch und tranken Kaffee. Lilly mochte den Mann. Er strahlte Ruhe aus und war ausnehmend höflich. Seine stumme Assistentin hatte Stift und Notizblock vor sich hingelegt.
»Also, Fräulein Höschen, erzählen Sie. Worüber haben Sie sich inzwischen Gedanken gemacht und was ist Ihnen eingefallen? Selbst Dinge, die Ihnen unwichtig erscheinen, können von Bedeutung sein.«
»Nun, ich weiß nicht, wie vertraut Sie mit unserer Familiengeschichte sind. Vor zwanzig Jahren sind die Eltern meines Großneffen, den Sie ja kennengelernt haben, spurlos verschwunden.«
»Sie werden es nicht glauben«, antwortete der Kommissar, »aber das habe ich, besser gesagt, meine junge Assistentin, Frau Berger, inzwischen auch in Erfahrung gebracht.«
»Tüchtiges Mädchen«, sagte Lilly an die junge Dame gerichtet, die keine Mine verzog.
»Ja«, fuhr der Kommissar fort, »das war vor meiner Zeit in dieser Gegend, aber wir machen natürlich unsere Hausaufgaben. Das muss wirklich ein sehr mysteröser Fall gewesen sein. Und es muss für Sie und Ihren Großneffen schlimm sein, dass die Sache nie aufgeklärt wurde. Allerdings habe ich bis jetzt nicht den geringsten Hinweis, dass beide Fälle miteinander zu tun haben könnten. Aber offenbar haben Sie sich inzwischen Gedanken gemacht, ob das Eine mit dem Anderen in Verbindung steht.«
»Möglicherweise. Niemand weiß doch, ob meine Nichte und ihr Mann noch leben, oder ob ihnen damals etwas zugestoßen ist. Was ist denn, wenn Miriams Mann seine Frau damals umgebracht hat und er selbst noch lebt? Und wenn er aus irgendwelchen Gründen weiter sein Unwesen treibt?«
»Es gibt nicht den geringsten Hinweis in den Akten, dass Ihre Nichte von ihrem Mann umgebracht wurde. Und außerdem: Warum sollte er zwanzig Jahre später Ihre Masseurin umbringen und sie Ihnen in den Garten setzen? Welchen Zusammenhang gibt es da? Ich sehe keinen.«
Jetzt war Lilly in die Ecke gedrängt worden. Entweder sie erzählte alles, damit die ganze Sache überhaupt einen Sinn ergab, oder sie redete sich heraus und stand ziemlich dumm da. Der Kommissar sah sie erwartungsvoll an, wohlwissend, dass sein Gegenüber eine intelligente Frau war und auf gar keinen Fall als senil gelten wollte. Lilly zerrieb sich den Kopf, wie sie aus dieser Falle wieder herauskommen sollte. Es war dumm gewesen, den Kommissar mit dieser Sache zu behelligen, ohne vorher mit Amadeus und Herrn Gutbrodt zu sprechen. Aber sie sah keinen Ausweg. Es ging schließlich um Leben und Tod. Wenn an der Geschichte, die Gutbrodt erzählt hatte, etwas dran war, wenn Georg wirklich noch lebte und sein Unwesen trieb, dann musste sie dem Kommissar erzählen, was sie wusste.
»Verdammte Scheiße!« rief sie plötzlich. Die Assistentin schaute Lilly erschrocken an, und der Kommissar lächelte amüsiert. Solch einen Ausbruch hätte er dieser wohlsituierten Dame gar nicht zugetraut.
»Also, dann erzähle ich Ihnen alles.«
Und das tat sie dann auch, und zwar in allen Einzelheiten. Lediglich Gutbrodts Geschichte mit dem mysteriös ums Leben gekommenen Lehrer, den sie vielleicht hätten retten können, es aber nicht taten, ließ sie weg.
»Das hätten Sie uns alles früher erzählen können«, sagte Gisela Berger, und Lilly war höchst erstaunt, dass die Dame tatsächlich sprechen konnte. Kommissar Schneider gab seiner Mitarbeiterin einen kurzen Wink mit der Hand, dass sie still sein sollte und sagte:
»Es ist gut, Fräulein Höschen, dass Sie uns das erzählt haben. Auf jeden Fall ist das eine Spur, die wir verfolgen sollten, obwohl mir das alles etwas unwahrscheinlich vorkommt. Wichtig wäre, dass Sie mal überlegen, ob Sie irgendwelche Gegenstände von Georg Besserdich haben, von denen wir seine DNA ableiten können. Und natürlich muss ich auch noch mal intensiv mit Herrn Gutbrodt reden. Und mit Ihrem Großneffen. Sollte wirklich etwas dran sein an Ihrer beziehungsweise Herrn Gutbrodts Vermutung, dann sind Sie, Ihr Großneffe und natürlich Herr Gutbrodt in Gefahr.«
Für den Abend hatte Lilly Amadeus und Hans Gutbrodt zu sich gebeten, um ihnen zu beichten, was sie getan hatte. Amadeus sagte:
»Ich denke, du hast als Einzige von uns richtig gehandelt, Tante Lilly. Wenn jemand diese Spur verfolgen kann, dann die Polizei. Und wir wollen Juristen sein und helfen der Polizei nicht!«
Dabei schaute er Hans an.
»Ich weiß gar nicht, warum ich
Weitere Kostenlose Bücher