Lilly Höschen (01): Walpurgismord
Fall bin ich froh, dass ich dich nach all den vielen Jahren wiedergetroffen habe, egal unter welchen Umständen. Als Junge war es mir nicht möglich, ein besseres Verhältnis zu dir aufzubauen. Ich war ein ziemlich verkorkster Kerl. Aber heute bin ich froh, dass wir hier sitzen und uns ganz ungezwungen unterhalten können. Vielleicht konnte ich ja mittlerweile einiges von meiner Verkorkstheit ablegen.«
Um Mitternacht ging die übliche Knallerei los und alles wollte auf den Balkon strömen, um sich die Leuchtraketen anzusehen. Gisela erhob ihre Stimme und stellte sich vor die Tür:
»Bitte gehen Sie nicht auf den Balkon oder an die Fenster. Wenn bei der Knallerei scharf geschossen wird, fällt es gar nicht auf.«
Sichtlich schockiert gingen alle ans andere Ende des Wohnzimmers. Es wurden Hände geschüttelt und Umarmungen ausgetauscht, um sich für das neue Jahr Glück zu wünschen. Ein paar Minuten später klingelte das Telefon und Lilly nahm ab.
»Hallo Lilly. Ich wünsche dir ein frohes neues Jahr. Eigentlich wollte ich euch heute ja besuchen. Aber ich musste leider umdisponieren. Aber ich verspreche dir, dass wir uns in diesem Jahr sehen.«
Amadeus sah den schockierten Gesichtsausdruck seiner Großtante und eilte zu ihr.
»Das war Georg.«
Goslar, 1. Januar 2011
Das neue Jahr fing genauso scheußlich an wie das alte aufgehört hatte. Von Georg Besserdich alias Anton Struwe keine Spur. Man hatte den ganzen Polizeiapparat in Bewegung gesetzt, um den Gesuchten in der Silversternacht dingfest zu machen. Aber offenbar spielte er nur mit ihnen. Zu allem Unglück bekam Kommissar Schneider nachts im Büro Schüttelfrost und hohes Fieber. Er musste zum Notarzt, der eine Virusgrippe diagnostizierte und ihn ins Bett schickte. Staatsanwalt Matthias Huber hatte für morgens um 9:00 Uhr eine Besprechnung anberaumt. Die meisten Kollegen hatten die ganze Nacht hindurch gearbeitet - und nun das. Fast alle waren körperlich und seelisch am Ende. Keine Silvesterparty, kein Familienleben und nun auch noch am Feiertag arbeiten. Völlig erschlafft kamen die Mitarbeiter des erkrankten Kommissars in den Besprechungsraum. Der Staatsanwalt, ein Mann von Anfang fünfzig, der ständig von irgendwelchen Karrieresprüngen träumte, die sich nie einstellten, saß bereits da, starrte auf seine Armbanduhr und trommelte mit dem Mittelfinger seiner rechten Hand auf den Tisch. Zuletzt betrat Gisela Berger den Raum.
»Wie schön, dass Sie uns auch die Ehre geben«, war seine Begrüßung.
»Ich wünsche Ihnen auch ein frohes neues Jahr, Herr Staatsanwalt.«
Er ignorierte die Bemerkung und legte ungeduldig los.
»Dieser Fall ist der größte Albtraum, den ich in meiner gesamten juristischen Laufbahn je erlebt habe. Offenbar sind die Verbrecher heutzutage intelligenter als die Polizei.«
»... und die Staatsanwälte«, nuschelte Gisela vor sich hin, und ein Kollege fing an zu lachen.
Ein scharfer Blick des Staatsanwalts ging in Giselas Richtung.
»Und um das Maß voll zu machen, legt sich auch noch unser Kommissar ins Bett. Und Sie besitzen die Dreistigkeit, mir zu berichten, dass bei der ganzen Aktion nichts herausgekommen ist. Es wird mir also nichts anders übrig bleiben, als mich selbst um die Sache zu kümmern. Zumindest, bis Kommissar Schneider wieder im Dienst ist.«
Jetzt meldete sich Inspektor Knott zu Wort, der die ganze Zeit über hemmungslos gegähnt hatte:
»Vielleicht kommen Sie mal auf den Punkt. Wenn Sie die Ermittlungen jetzt leiten, dann sagen Sie doch ganz einfach, was wir tun sollen. Denn wenn ich Sie richtig verstanden habe, sind Sie offenbar intelligenter als Verbrecher und Polizei.«
»Ich würde an Ihrer Stelle nicht ganz so dreist sein. Sie bewegen sich auf sehr dünnem Eis, Herr Knott. Und das gilt auch für Sie, Frau Berger.«
»Bin ich hier in der Klappsmühle gelandet?«, rief diese nun ganz erbost.
»Wir schlagen uns die Nächte um die Ohren, während Sie nicht zu erreichen sind, und dann sollen wir uns nach vierundzwanzig Stunden Dauerdienst von Ihnen sagen lassen, wie bescheuert wir sind.«
»Frau Berger, ich empfehle Ihnen, lieber den Mund zu halten.«
»Und ich empfehle Ihnen, Herr Staatsanwalt Huber, sich nicht zu benehmen wie ein Arschloch!«
»Das wird Konsequenzen haben!« brüllte der Staatsanwalt.
Die Besprechung hatte Matthias Huber nur anberaumt, um seinen Frust herauszulassen. Seiner Meinung nach war es an der Zeit, den Leuten mal kräftig in den Hintern zu treten. In Anwesenheit
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