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Lilly unter den Linden

Lilly unter den Linden

Titel: Lilly unter den Linden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne C. Voorhoeve
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ein längeres Schwätzchen, bevor sie sich endlich trennten.
    Onkel Rolf kam zweimal ins Zimmer, um mich zum Essen einzuladen, aber ich hatte keinen Appetit. Lena sah ich den ganzen Tag nicht, Till ließ mich in Ruhe und Katrin saß immer noch im Gartenhaus und wartete darauf, dass ich wieder verschwand. Es würde sie mit großer Genugtuung erfüllen, dass sie Recht behalten hatte. Auf ein paar Tage mehr oder weniger kam es ihr sicher nicht an.
    Am späten Nachmittag wurde es auf der Straße lebhafter. Autos und Fahrräder fuhren vorbei, Menschen kamen von der Arbeit und gingen einkaufen. Hundert Meter weiter befand sich ein kleines Konsum-Geschäft, und ich sah Leute mit Einkaufsbeuteln in diese Richtung gehen und zurückkommen. Schließlich kam auch Lena zu Fuß aus der Stadt angehetzt. Sie trug bereits einen schweren Beutel und ich sah, wie sie eine Frau begrüßte, die ihr vom Konsum entgegenkam. Die Frau öffnete ihre Einkaufstasche und ließ Lena hineinschauen, worauf diese es sehr eilig hatte, sich zu verabschieden und ins Haus zu kommen.
    Einige Minuten vergingen.
    Ich malte mir aus, wie Onkel Rolf von unserem niederschmetternden Besuch auf der Meldestelle berichtete und wie er Lena voller Sorge erzählte, dass ich den ganzen Tag trauernd auf der Fensterbank gesessen und die Nahrung verweigert hatte. Selbstmitleid übermannte mich. Sicherlich würde sie gleich hereinkommen, mich »mein armer Schatz« nennen und tröstend in die Arme nehmen.
    Die Tür ging auf und Lena kam herein. »Jetzt hör mir mal zu«, sagte sie energisch. »Es ist schlimm genug, dass du nächste Woche vorübergehend wieder zurückmusst. Aber das bisschen Zeit bei uns so zu vertrödeln, das ist wirklich eine Schande.«
    »Vorübergehend?«, echote ich.
    »Was hast du denn gedacht?« Lena baute sich vor mir auf. »Wir werden natürlich alle Hebel in Bewegung setzen. Rolf ziert sich noch ein bisschen, immerhin hast du eine Westbehörde als Vormund, aber ich habe ihm gesagt: Vormundschaft kann man beantragen. Wir sind deine einzigen Verwandten, das zählt schließlich auch. Nur, wenn du so schnell den Mut verlierst, Lilly … dann weiß ich wirklich nicht, wie wir irgendjemanden überzeugen sollen.«
    »Den Mut verlieren? Ich?«, rief ich halb verwirrt, halb entrüstet.
    Lena setzte sich mir gegenüber und lächelte. »Siehst du, das habe ich Rolf auch gesagt. Ich habe doch gewusst, dass du uns nicht so schnell aufgibst.«
    Es ist schon erstaunlich, wie die Welt von einem Augenblick auf den anderen plötzlich ganz anders aussehen kann. Ich fühlte, wie ein erleichtertes Grinsen sich von innen her in mir ausbreitete, bis es mein Gesicht erreicht hatte. Lena griff entschlossen nach meinen Knien und schwang mich vom Fensterbrett.
    »Wenn wir uns beeilen«, sagte sie, »kriegen wir noch ein paar Apfelsinen mit!«
    Vor dem kleinen Konsum-Geschäft in unserer Straße standen die Leute Schlange. »Willkommen im sozialistischen Wartekollektiv«, flüsterte Lena mir vergnügt zu und packte ihren Beutel aus. Es war ein kleiner Perlonbeutel, den sie immer mit sich trug für den Fall, dass es irgendwo Mangelware zu kaufen gab. »Fallsbeutel« nannte sie das im Scherz, und zur »Mangelware« zählten für mich so unexotische Dinge wie Südfrüchte oder Gewürzgurken.
    Im Schaufenster standen Konservendosen, zu einer kunstvollen Pyramide aufgebaut – vielleicht um davon abzulenken, dass es sich um ein und dieselbe Sorte Dreifruchtmarmelade handelte. »Dieses Angebot macht wählerisch«, verhieß ein Schild im Hintergrund. Tatsächlich hatte es sich herumgesprochen, dass es an diesem Tag Apfelsinen gab, und jeder hoffte, dass das Angebot nicht ausging, bis die Reihe an ihn kam. Vorsichtshalber durfte deshalb jeder Kunde nicht mehr als ein Kilo erwerben.
    Als wir an die Theke traten, war nur noch eine Kiste da. Lena reichte unseren Beutel herüber und verlangte ein Kilo, und die Verkäuferin begann den Beutel zu füllen. »Moment«, sagte ich und zeigte auf die Frucht, die sie uns gerade einpacken wollte. »Die ist ja ganz zerdrückt! Da hätten wir aber gern eine andere.«
    Gemurmel erhob sich. Verblüfft sah ich, dass die Leute in der Schlange sich anstießen und lachten und dass Lena ein verlegenes Gesicht machte. Die Verkäuferin sah mich böse an, nahm die beanstandete Apfelsine wieder aus unserem Beutel und legte eine andere hinein. »Macht vier Mark«, sagte sie kühl zu Lena.
    Ich nahm den Beutel und ging hinaus, alle starrten uns hinterher. Als

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