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Lilly unter den Linden

Lilly unter den Linden

Titel: Lilly unter den Linden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne C. Voorhoeve
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Kaffee weg«, erinnerte sich Lena. »Den hat sich wohl Erich in Wandlitz schmecken lassen.«
    »Und die Fußballbilder aus der Schokolade!«, schimpfte Till.
    »Versteh das nicht falsch, Lilly«, setzte Lena hinzu, »an Grundnahrungsmitteln herrscht hier kein Mangel, die werden bezuschusst und sind sogar ausgesprochen billig. Niemand muss Hunger leiden. Aber wenn du etwas Besonderes suchst, Elektrogeräte, Ersatzteile dafür oder auch nur schöne Kerzen für den Weihnachtsbaum … das ist wie ein Glücksspiel.«
    »Immerhin hat man auf diese Weise genug Zeit, darauf zu sparen!«, meinte Onkel Rolf sarkastisch. »Ein Jahresgehalt für einen Farbfernseher, ein Monatsgehalt für den Radiorekorder zu Katrins Jugendweihe, drei Monatsmieten für einen Wintermantel … aber am gnädigsten ist der Nachfolger unseres Wartburgs. Der lässt uns noch mindestens vier Jahre Zeit, da wir uns erst nach Tills Geburt für einen Neuwagen angemeldet haben.«
    Alle außer mir lachten. Ich musste auf einmal daran denken, dass Pascal eine Art Flohmarkt mit unseren Einrichtungsgegenständen veranstaltet und das meiste davon zu einem Schleuderpreis losgeschlagen hatte. Die Couchgarnitur, der Fernseher, die Waschmaschine … Hauptsache, weg damit, weder er noch ich hatten daran gedacht, dass wir es vielleicht hierher hätten schicken können. Zu spät, dachte ich und war von mir selbst so enttäuscht wie selten zuvor.
    »Denkst du an Frau Giehse?«, sagte Lena beim Abräumen zu Till.
    »Klar«, erwiderte er und zu mir: »Komm, jetzt kannste wieder was lernen!«
    Lena zielte mit Apfelsinenschalen nach ihm. »Gib ihm Saures, Lilly!«, rief sie mir nach.
    Frau Giehse hatte schon auf Till gewartet. Jeden Abend holte er zwei Metalleimer bei ihr ab, trug sie in den Keller, schaufelte Kohlen hinein und schleppte sie wieder treppauf. Aus diesem Grund hing Frau Giehses Kellerschlüssel immer an seinem, Tills, Schlüsselbund – eine Verantwortung, auf die er stolz war. »Und was kriegst du dafür?«, fragte ich praktisch.
    »Na, nichts. Das ist doch unsere Nachbarin, und außerdem bin ich Thälmannpionier!«, klärte er mich auf. »Es ist unsere Pflicht, den älteren Mitbürgern beschwerliche Arbeiten abzunehmen.« Er klingelte und rief ein wenig großspurig »Ich bin’s!« durchs Treppenhaus.
    Wir hörten Trudi erst kläffen, dann am Türspalt schnüffeln, bevor leises Schlurfen ihr Frauchen ankündigte. Frau Giehse öffnete die Tür, erblickte mich … und ließ ihre Eimer unter solchem Geschepper fallen, dass der arme alte Pudel steifbeinig durch den Flur zurückrannte.
    »Jemine!«, rief sie und griff sich ans Herz.
    »Das ist Lilly«, sagte Till verblüfft. »Sie zieht bald zu uns.«
    »Und ich dachte …« Frau Giehse kam einen Schritt auf mich zu. »Haben wir uns nicht schon einmal gesehen?«
    »An … an Heiligabend«, stotterte ich und drückte mich vorsichtshalber gegen das Treppengeländer. »Sie kamen gerade durch die Tür …«
    »Nicht wahr, sie sieht aus wie Tante Rita!«, rief Till triumphierend. »Sagt Mama auch.«
    »Ist sie …«
    »Meine Cousine aus Hamburg!«
    Frau Giehse starrte mich wie hypnotisiert an und plötzlich geschah etwas gänzlich Unerwartetes: Sie begann zu weinen. Es dauerte nur wenige Sekunden und sie presste auch gleich die Hand vor den Mund, bis sie sich wieder gefasst hatte, aber ich war wie gelähmt. Till musste die Eimer allein aufsammeln und mich die Kellertreppe hinunterziehen.
    »Was war das denn?«, stammelte ich, als wir unten angekommen waren.
    »Sie wird nächsten Monat achtzig, da heult man halt ab und zu«, mutmaßte Till. Dabei hatte auch er eben noch ziemlich erschrocken ausgesehen.
    »Hat sie Mami denn so gut gekannt?«
    Till zog die massive Stahltür auf und drehte am Lichtschalter. Wir standen in einem niedrigen engen Gang, der nach rechts und links kleine Holzgitterverliese voneinander trennte. Es roch muffig nach kaltem Beton, vielleicht auch ein bisschen nach Mäusen, hauptsächlich aber nach Kohle, die in jedem Kellerraum auf dem Boden lagerte. Und noch einen anderen Vorrat hatten die Bewohner dieses Hauses angelegt. Ich lugte im Vorbeigehen durch die Gitter und erspähte zu meiner Überraschung in mehreren Kellern große Mengen an Lebensmitteln in Dosen und Gläsern.
    »Meine Güte«, sagte ich bestürzt. »Ist das denn wegen … ich meine … glaubt ihr wirklich, dass es einen Krieg gibt?«
    »Wieso Krieg?« Till sah mich an, als sei ich nicht ganz dicht. »Was es zu kaufen

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