Lily und der Major
sie das
Päckchen aus ihrer Tasche wickelte das Papier ab und hielt einen kleinen
Gegenstand ins Licht. Es war ein goldener Ehering für einen Mann.
20
Caleb war überrascht und auch ein bißchen besorgt, als Lily ihm
bei seiner Rückkehr aus dem Fort auf halbem Weg entgegenkam. Ohne Gewehr und
ohne Dancer, ihre Rocksäume in einer Hand, schlenderte sie über die Felder. Ein
ungewöhnlich nachdenklicher Ausdruck stand auf ihrem schönen Gesicht.
Nicht zum erstenmal war Caleb
verblüfft über das beinahe erschreckende Ausmaß seiner Liebe zu ihr. Er zügelte
den Wallach, den er schon seit drei Jahren ritt und dem er bisher nicht einmal
einen Namen gegeben hatte, und sah Lily lächelnd entgegen.
Sie ließ ihre Röcke fallen, als sie
stehenblieb und zu Caleb aufschaute. »Ich habe beschlossen, dich zu heiraten,
falls du es noch willst«, erklärte sie in seltsam nüchternem Ton.
Caleb war ein kluger Mann und wußte
daher, daß irgend etwas nicht stimmte, aber es verlangte ihn viel zu sehr nach
Lily, als daß er sie jetzt um eine Erklärung für ihren plötzlichen
Sinneswechsel hätte bitten können. Dafür war später noch Zeit, wenn sie erst
seinen Ring am Finger trug und seine Frau geworden war. Schweigend ergriff er
Lilys Hand und zog sie zu sich aufs Pferd.
Nach einem langen,
leidenschaftlichen Kuß wendete er den Wallach und schlug die Richtung nach Fort
Deveraux ein.
Die Heiratslizenz stellte kein
Problem dar: Darum kümmerte sich der Colonel. Caleb hatte auch schon einen Ring
für Lily – er hatte ihn gekauft, als er ihr nach Spokane gefolgt war – und
während Gertrude die Braut ankleidete, ging er zu seinem Haus, um ihn zu holen.
Einst hatte Caleb davon geträumt,
Lily in dieses Haus zu bringen, damit sie es mit ihrem Lachen und ihrer
Zärtlichkeit erfüllte; hatte sich vorgenommen, sie zu verhätscheln, zu verwöhnen
und vor seinen Freunden mit ihr anzugeben. Aber jetzt, wo er beabsichtigte, die
Armee zu verlassen, würde all das in einem anderen Haus geschehen.
Am liebsten in jenem prächtigen
Gebäude außerhalb von Fox Chapel, in dem er aufgewachsen war.
Caleb badete, rasierte sich und zog
seine Galauniform an. An den sorgenvollen Ausdruck in Lilys Augen dachte er
lieber nicht; statt dessen beschäftigte er sich – wie jeder Bräutigam – mit den
angenehmen Aussichten auf die kommende Nacht.
Das Kleid war schon alt, Mrs. Tibbet hatte selbst darin geheiratet,
aber es war noch immer wunderschön, und es paßte Lily wie angegossen. Aus
elfenbeinfarbener Seide, war es vom Ausschnitt bis zum Saum mit winzigen
cremefarbenen Perlen bestickt. Obwohl es hochgeschlossen war, ließ das Mieder,
das zum größten Teil aus Spitze bestand, sehr viel verführerische Haut
durchschimmern, und die durchsichtigen Ärmel zeigten Lilys schlanke Arme.
»Du siehst bezaubernd aus«, stellte
Gertrude zufrieden fest.
Lily betrachtete sich im Spiegel und
seufzte. »Danke«, sagte sie. »Hast du jemanden zu Hank und Velvet geschickt?«
Mrs. Tibbet nickte. »Sie werden
sicher bald kommen. Der Kaplan ist schon unten und trinkt einen Brandy mit dem
Colonel. Seine Frau wird die Orgel spielen.« Gertrude nahm ein Gebilde aus
hauchdünner Gaze aus einem Karton. »Hier, ohne Schleier geht es nicht.«
Geduldig saß Lily auf ihrem Stuhl
und ließ den Schleier von Mrs. Tibbet auf ihrem Haar befestigen. Als das geschehen
war, legte Gertrude sanft die Hände auf die Schultern der jungen Braut. »Du
liebst Caleb doch, Lily? Er ist ein feiner Mann und hat eine Frau verdient, die
ihn liebt.«
»Ich liebe ihn sehr«, erwiderte Lily
aufrichtig.
»Trotzdem scheinst du nicht sehr
glücklich zu sein über diese Heirat.«
Lily senkte den Blick. Vielleicht
hätte sie ihrer Freundin sagen sollen, daß sie nicht über die Heirat
unglücklich war, sondern über den Tod ihrer Mutter und den damit verbundenen
endgültigen Verlust ihrer Schwestern. Aber in diesem Moment hätte sie diese
Dinge nicht aussprechen können. Nicht jetzt.
»Lily?« beharrte Mrs. Tibbet
freundlich.
Irgendwie fand Lily die Kraft, zu
lächeln. »Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Caleb wird es nie bereuen,
mich geheiratet zu haben.«
Gertrude schien eine Spur ungeduldig
zu werden, aber dann klopfte sie Lily beruhigend auf die Schulter und wechselte
das Thema. »Werdet ihr eine Hochzeitsreise machen?«
Soweit hatte Lily noch nicht
gedacht. »Ich glaube nicht«, erwiderte sie. »Wer würde meine Küken füttern?«
Im Spiegel der Kommode sah sie, wie
Mrs.
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