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Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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Ausweg aus dem selbst eingebrockten Schlamassel. Hilf du mir, ich helfe dir, und sei es, dass du deinen Beitrag zu meinem Umzug leistest, damit wir beide bequemer sitzen und du dein Gesicht entstauben kannst. Quid pro quo.
    Chen wirkte unsicher. Er kratzte sich den Schädel, rappelte sich hoch, dann fischte er das Messer aus dem Kasten und nahm sich den anderen Sessel vor. Während er das Klebeband durchtrennte, entspannte er sich zusehends.
    »Ich weiß Ihr Anerbieten wirklich sehr zu schätzen Herr Jericho. Tian hatte leider keine Gelegenheit, mir von Ihrem Umzug zu erzählen.«
    Was so viel hieß wie, der Idiot hat nichts gesagt. Jericho zuckte die Achseln und zog die Folie von seinem Sessel.
    »Er wusste nichts davon.«
    Auch das war gelogen, aber damit hatte Tu von beiden Seiten Reputation erfahren, und sie konnten sich wichtigeren Dingen zuwenden. Nacheinander schoben sie die Sessel vor den Schreibtisch.
    »Sieht doch gar nicht so schlecht aus.« Jericho grinste. »Jetzt brauchen wir eigentlich nur noch was zur Stärkung. Was meinen Sie? Ich könnte uns Kaffee holen. Unten im Haus ist eine Patisserie, die machen –«
    »Bemühen Sie sich nicht«, fuhr ihm Chen dazwischen. »Die hole ich.«
    Ach ja. Das Spiel.
    »Auf keinen Fall!«
    »Aber sicher.«
    »Nein, das ist mein Vergnügen, Sie sind mein Gast.«
    »Und Sie empfangen mich außer der Reihe. Wie ich schon sagte –«
    »Das ist ja wohl das Mindeste, was ich für Sie tun kann. Wie möchten Sie Ihren Kaffee?«
    »Wie möchten Sie Ihren?«
    »Ganz liebenswürdig, aber –«
    »Möchten Sie Muskat in Ihren Kaffee?«
    Das war das Neueste: Muskat im Kaffee. Es hieß, Starbucks habe damit im vergangenen Winter den Konkurs verhindert. Gott und alle Welt trank neuerdings Muskatkaffee und schwor, er schmecke ausgezeichnet. Jericho fühlte sich an die Espresso-Sichuan-Welle erinnert, die wenige Jahre zuvor durchs Land gerollt war und den Genuss italienischen Kaffees in die asiatische Variante von Dantes Inferno verwandelt hatte. Einmal hatte Jericho am Tassenrand genippt und noch Tage später das Gefühl gehabt, er könne sich die Haut von den Lippen ziehen.
    »Ein ganz normaler Cappuccino wäre großartig«, fügte er sich. »Die Patisserie ist gleich unten links.«
    Chen nickte.
    Und plötzlich lächelte auch er. Seine Gesichtshaut spannte sich, dass Jericho fürchtete, sie könnte aufreißen, aber es war ein durchaus sehenswertes, freundliches Lächeln, das sich erst in der rissigen Wüste unterhalb der Augen verlor.
     
    »Sie heißt nicht wirklich Yoyo«, erklärte Chen, als sie Kaffee schlürfend zusammensaßen. Inzwischen lief die Klimaanlage und sorgte für einigermaßen erträgliche Temperaturen. Chen nahm eine Haltung ein, als sei damit zu rechnen, dass der weiche Ledersessel ihn im nächsten Moment wieder abwarf, doch verglichen mit dem Mann, der eine Viertelstunde zuvor unter dem Türsturz hindurchgeschlichen war, machte er einen geradezu ausgeglichenen Eindruck.
    »Wie ist ihr richtiger Name?«
    »Yuyun.«
    »Jadewolke.« Jericho hob anerkennend die Brauen. »Eine schöne Wahl.«
    »Oh, ich habe lange darüber nachgedacht! Es sollte ein leichter, frischer Name sein, voller Poesie, voller –« Chens Blick verschleierte sich und wanderte in unbestimmte Ferne.
    »Harmonie«, ergänzte Jericho.
    »Ja. Harmonie.«
    »Warum nennt sie sich Yoyo?«
    »Ich weiß es nicht.« Chen seufzte. »Ich weiß überhaupt zu wenig über sie, da liegt ja das Problem. Man versteht einen Menschen nicht, bloß weil man ihn etikettiert. Aufschrift macht keinen Inhalt. – Ich frage Sie, was sind schon Namen? Durchhalteparolen für Verlorene, bestenfalls. Dennoch hofft man auf eine Ausnahme, auf das eigene Kind, man ist wie betäubt. Als könnten Namen etwas ändern. Als hätte in einem Namen je Wahrhaftigkeit gesteckt!« Er sog geräuschvoll einen Schluck von seinem Kaffee ein.
    »Und Yoyo – Yuyun ist verschwunden?«
    »Bleiben wir bei Yoyo. Außer mir nennt sie kein Mensch Yuyun. Ja, ich habe sie zwei Tage lang weder gesehen noch gesprochen. Hat Tu Tian denn nichts erzählt?«
    »Nur wenig.«
    Aus unerfindlichen Gründen schien dieser Umstand Chen zu freuen. Dann dämmerte es Jericho. Wie hatte Tu es ausgedrückt: Ich bin versucht zu sagen, sie vertraut mir mehr als ihrem Vater. Was immer Tu und Chen verbinden mochte, wie eng das Band zwischen ihnen auch geknüpft war – diese Vorliebe Yoyos stand zwischen ihnen. Soeben hatte Chen wärmende Gewissheit darüber erlangt, dass

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