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Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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einschließt?«
    Xin schürzte die Lippen. »Erklären Sie es mir.«
    »Das muss Ihnen niemand erklären«, knarzte Chen. »Sie wissen es selbst am besten.«
    »Was?«
    »Dass jeder, der einen anderen bedroht, Angst hat. Wer eine Waffe auf einen anderen richtet, hat Angst.«
    »Ich habe also Angst?«, lachte Xin.
    »Ja«, erwiderte Chen lapidar. »Repression gründet immer auf Angst. Angst vor der Meinung Andersdenkender. Angst vor Entlarvung. Angst vor Machtverlust, Zurückweisung, Bedeutungslosigkeit. Je mehr Waffen Sie einsetzen, je höhere Mauern Sie bauen, je ausgeklügelter Sie foltern, desto mehr demonstrieren Sie nur Ihre Ohnmacht. – Erinnern Sie sich an Tian'anmen? An das, was auf dem Platz des Himmlischen Friedens geschah?«
    »Die Studentenunruhen?«
    »Ich weiß nicht, wie alt Sie sind. Wahrscheinlich waren Sie noch ein Kind, als das geschah. Junge Menschen, die friedlich für etwas eintraten, um dessen tiefere Bedeutung sich schon ganz andere bemüht hatten: Freiheit. – Und demgegenüber ein Staat, nahezu paralysiert, bis in die Grundfesten erschüttert, sodass man am Ende Panzer schickte und alles im Chaos versank. Wer, glauben Sie, hatte damals die größere Angst? Die Studenten? Oder die Partei?«
    »Ich war fünf Jahre alt«, sagte Xin, erstaunt, dass er sich hier mit einer Geisel unterhielt, als säßen sie zusammen in einem Teehaus. »Woher zum Teufel soll ich das wissen?«
    »Sie wissen es. Sie richten gerade eine Waffe auf mich.«
    »Stimmt. Ich schätze also, Sie sind es, der eine Scheißangst haben sollte, alter Mann!«
    »Ja, nicht wahr?« Wieder verzerrte ein gespenstisches Lächeln Chens Züge. »Und doch habe ich nur Angst um das Leben meiner Tochter. Und was mich außerdem ängstigt, ist, alles falsch angefasst zu haben. Geschwiegen zu haben, wo ich hätte reden sollen. Das ist alles. Ihre Waffe da kann mich nicht ängstigen. Meine inneren Dämonen sind Ihrem lächerlichen Gewehr in jeder Hinsicht überlegen. – Sie aber fürchten sich. Sie fürchten sich vor dem, was übrig bliebe, würde man Sie Ihrer Waffen und sonstigen Attribute der Macht berauben. Sie fürchten sich davor, zurückzufallen.«
    Xin starrte den Alten an.
    »Es gibt keinen Rückfall, haben Sie das nie begriffen? Es gibt nur das Vorwärtsschreiten in der Zeit. Nur ein permanentes Jetzt. Die Vergangenheit ist kalte Asche.«
    »Da stimme ich Ihnen zu. Mit einem Unterschied. Das, was den Menschen zerstört, ist kalte Asche. Die Folgen der Zerstörung hingegen bleiben.«
    »Auch davon kann man sich reinigen.«
    »Reinigen?« Ratlosigkeit flackerte in Chens Blick. »Wovon?«
    »Von dem, was war. Wenn Sie es den Flammen überantworten. Wenn Sie es verbrennen! Das Feuer reinigt Ihre Seele, verstehen Sie? Sodass Sie ein zweites Mal geboren werden.«
    Chens wunder Blick bohrte sich in seinen.
    »Sprechen Sie von Rache?«
    »Rache?« Xin bleckte die Zähne. »Rache macht einen Gegner nur größer, gibt ihm Bedeutung. Ich rede von der völligen Auslöschung! Davon, die eigene Geschichte zu überwinden. Das, was Sie gequält hat, ihre – Dämonen!«
    »Sie meinen, man kann die Dämonen verbrennen?«
    »Natürlich kann man das!« Wie dumm musste man sein, um diese elementare Gewissheit zu leugnen? Das ganze Universum, alles Sein, alles Werden, gründete auf Vergänglichkeit.
    »Aber was«, sagte Chen nach einer Weile des Nachdenkens, »wenn Sie die Feststellung machen, dass es gar keine Geister gibt? Keine Dämonen. Dass sich Ihnen die Vergangenheit lediglich wie ein Abbild eingeprägt hat und die Geister Teil Ihrer selbst sind. Versuchen Sie dann nicht, sich selbst auszulöschen? Ist Ihre Reinigung dann nicht Selbstverstümmelung?«
    Xin senkte die Augenlider. Das Gespräch nahm eine Wendung, die ihn faszinierte.
    »Was haben Sie verbrannt?«, fragte Chen.
    Er überlegte, wie er es Chen erklären sollte, damit dieser Xins Größe begriff. Doch plötzlich hörte er etwas. Schritte im Flur.
    »Ein andermal, ehrenwerter Chen«, flüsterte er.
    Rasch ging er zurück zum Sofa und aktivierte die Automatik. Nun war es so weit. Jede falsche Bewegung Chens, und sein Körper würde zerfetzt werden. Die Schritte näherten sich.
    Dann schwang die Türe auf und
     
    Yoyo sah ihren Vater auf seinem Stuhl hocken, der Mündung des Gewehrs zugewandt. Er regte sich nicht, nur seine Augäpfel drehten sich langsam in ihre Richtung. Sie spürte die Anspannung in Daxiongs mächtigem Körper neben sich und trat ein, den kleinen Computer mit der

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