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Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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Chen ins Flugmobil kletterten.
    »Tian?«
    Wie sehr seine Stimme plötzlich zitterte. Überhaupt hatte alles an ihm und um ihn herum zu zittern begonnen.
    »Meine Güte, Owen!«, trompete Tu. »Was ist los? Wir warten auf euch.«
    »Tut mir leid.« Er schluckte. »Du warst großartig, aber ich fürchte, die größte Herausforderung steht dir noch bevor.«
    »Was? Welche denn?«
    »Präzisionslandung. Mittelstreifen. Bis gleich, alter Freund.«
     
    Tus Silver Surfer war als Doppelsitzer mit Notsitz konzipiert. Unter dem vereinten Gewicht von fünf Personen, deren zwei massiv übergewichtig waren, büßte er einiges an Manövrierfähigkeit ein. Es wurde entsetzlich eng. Sie verfrachteten Daxiong auf den Beifahrersitz und quetschten sich dahinter zusammen. Hoffnungslos überbelegt, hob der Silver Surfer mit der Eleganz einer gichtkranken Ente ab. Jericho wunderte sich, dass er überhaupt noch flog. Tu steuerte die Maschine über die gleichförmigen, rotbraunen Dächer der Wohnsiedlungen Hongkous, überquerte den Huangpu und hielt aufs Nordufer des Finanzdistrikts zu. In Sichtweite zur Yangpu-Brücke lag die parkähnliche Anlage des Pudong International Medical Centers, eine Ansammlung federleicht wirkender Glaskokons, gebettet in schmucke Gärten mit künstlichen Seen, Bambushainen und verschwiegenen Pavillons. Die renommierte Privatklinik war erst vor wenigen Jahren errichtet worden. Sie repräsentierte die neue Bodenverbundenheit Shanghais, in deren Stadtplanung die Einsicht gedieh, dass es sich mit Bauwerken ähnlich verhielt wie mit dem Hals des Brachiosaurus, dessen Länge zwar spektakulären Ausblicken dienlich sein mochte, ansonsten aber nur Probleme mit sich brachte. Das ultimative Exponat architektonischen Phalluswahns, der Nakheel-Tower, ragte denn auch halb fertig aus dem bankrottgegangenen Dubai wie zur Bestätigung der Binsenweisheit, dass noch lange nicht der Größte ist, wer den Längsten hat. 1400 Meter hatte das Monstrum messen sollen. Nach etwas über einem Kilometer waren die Arbeiten eingestellt worden, die Himmelsstürmer an der Banalität ihres Konzepts gescheitert, war die casa erecta reif für die Aufnahme ins Buch fehlgeleiteter Entwicklungen. Gebilde wie die ineinander verwobenen Zellen des Pudong International Medical Centers entsprachen weit eher den Anforderungen einer Metropole, die sich als gigantischer urbaner Einzeller verstand, dessen Stoffwechsel auf neuronaler Vernetzung gründete statt auf der Ausbildung rekordverdächtiger Extremitäten.
    »Ich kenne da jemanden.«
    Wie immer, wenn in Shanghai Neues entstand, pflegte Tu auch im Medical Center Vertrautheit mit den wirkenden Kräften, explizit mit dem Leiter der Chirurgie. Nachdem sie Daxiong eingeliefert hatten, führten beide Männer ein zurückgezogenes Gespräch. Am Ende stand die Versicherung, Daxiongs Verletzung zu behandeln, ohne die Umstände ihres Entstehens zu hinterfragen. Der Riese musste genäht werden und sich mit dem Gedanken an eine schmucke Narbe vertraut machen. Vor allen Dingen würde er eine Weile Schmerzen haben.
    »Aber auch dagegen kann man was machen«, verabschiedete sie der Chirurg und lächelte beruhigend in die Runde. »Heute kann man schließlich gegen alles was machen.«
    In Privatklinken, fügte sein Blick hinzu.
    Jericho hätte ihn gerne gefragt, was er gegen Yoyos Schmerz über den Verlust ihrer Freunde empfahl, gegen die alte Seelenqual Chen Hongbings und gegen seine eigenen inneren Filme, doch er beließ es dabei, Daxiong die Hand zu drücken und alles Gute zu wünschen. Der Hüne betrachtete ihn ausdruckslos. Dann ließ er seine Hand los, streckte den rechten Arm aus und drückte ihn an sich. Jericho ächzte. Wenn es das war, was Daxiong mit aufgerissenem Rücken zustande brachte, wollte er lieber nicht wissen, zu welchen Liebesbekundungen der Mann im Zustand körperlicher Unversehrtheit fähig war.
    »Bist gar nicht so übel«, sagte Daxiong.
    »Schon okay.« Jericho grinste. »Sei nett zu den Schwestern.«
    »Und du gibst auf Yoyo acht, bis ich raus bin.«
    »Mach ich.«
    »Also dann bis heute Abend.«
    Jericho glaubte, sich verhört zu haben. Daxiong drehte den Kopf zur Seite, als sei jede weitere Diskussion über den Zeitpunkt seiner Entlassung reine Zeitverschwendung.
    »Lass mal«, sagte Yoyo im Hinausgehen. »Ich bin ja schon froh, dass er nicht gleich wieder mitkommen wollte.«
    »Und jetzt?«, fragte Chen Hongbing, als sie zurück zum Silver Surfer trotteten. Es war das erste Mal, dass er

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