Limit
Peter, Mimi und Marc hatten sterben müssen, was eigentlich Hannas beschissene Ziele waren. Er brauchte Informationen, und überhaupt, Momoka, Julian, die anderen, sie saßen auf dem Aristarchus-Plateau fest! Er musste zurück und sie holen, das hatte absolute Priorität.
Und wie, Schlaukopf?
Sein Blick wanderte zum Cockpit. Er wusste, wie man einen Rennwagen fuhr, eine Yacht in den Wind legte. Von Hornets hingegen hatte er nicht die mindeste Ahnung, ebenso wenig, wohin die Ganymed unterwegs war, wie hoch und wie schnell sie flog. Nichts an Bord trug dazu bei, seine Stimmung zu heben. Hier der Kanadier, der irgendwann zu sich kommen würde, dort die unvertraute Welt des Cockpits. Er wusste vorne und hinten nicht weiter. Er musste sich umgehend Wissen verschaffen.
Nein. Zuallererst musste er Hanna irgendwo unterbringen.
Weil ihm auch nach weiteren Minuten des Nachdenkens nichts Besseres einfiel, schleifte er den reglosen Körper in Richtung Kanzel, legte ihn hinter dem Sitz des Copiloten ab und sah sich nach etwas um, womit man ihn fesseln konnte.
Auch so etwas schien es an Bord nicht zu geben.
Nun ja. Wenigstens konnte man nicht behaupten, dass es langweilig wurde.
LONDON, GROSSBRITANNIEN
Eines der letzten Werke des hochbetagten Sir Norman Foster erhob sich auf der Isle of Dogs, einer tropfenförmigen Halbinsel im Londoner East End. Zum U gekrümmt, umfloss die Themse hier ein Areal aus Geschäftsvierteln, schick restaurierten Werften, exklusiven Appartements und konservierten Überbleibseln sozialen Wohnungsbaus, dessen angestammte Bewohner sich in der von Aufbruch und Wohlstand geprägten Architekturidylle ausnahmen wie Schauspieler. Schon in den Neunzigern hatten vermögende Londoner die versteckten Reize des Viertels für sich entdeckt, waren Künstler, Galerien, mittelständische Firmen und Konzerne hergezogen, um den bröckelnden Arbeitersiedlungen mit kammerjägerartiger Wirkung zu Leibe zu rücken. Nach über zwei Jahrzehnten heftiger gesellschaftlicher Spannungen hatte man deren letzte Straßenzüge nun liebevoll, fast museal, wiederhergestellt und die dort lebenden Familien unter Artenschutz gestellt, wozu gehörte, sie kraft finanzieller Unterstützung in jenen Typus fröhlichen Sozialfalls zu verwandeln, den gestresste Manager beneiden konnten, ohne sich des Zynismus verdächtig zu machen.
2025 gab es auf der Isle of Dogs niemanden mehr, der wirklich arm war. Schon gar nicht im Schatten des Big O.
Noch zu Jerichos Zeiten war der Bau des neuen Hauptquartiers von Orley Enterprises in Angriff genommen worden, im Jahr, bevor ihn die Angst, Joanna zu verlieren, nach Shanghai zitiert hatte. Im Südosten der Hundeinsel, in den ehemaligen Island Gardens, ruhte auf einem flachen Gebäudesockel – sofern man einen zwölfgeschossigen Komplex als flach bezeichnen wollte – ein 250 Meter durchmessendes O, parabolisch umkreist von einem orangefarbenen, künstlichen Mond, der mehrere Konferenzräume barg und über luftige Brücken erreichbar war. Über fünftausend Mitarbeiter durchwimmelten die lichtdurchfluteten Atrien, Gärten und Großraumbüros des gewaltigen, gläsernen Torus mit termitengleicher Geschäftigkeit. Ein Flugfeld war so geschickt in den Dachbereich eingearbeitet worden, dass die Rundung des O aus allen Perspektiven gewahrt blieb. Erst im Heranflug offenbarte sich, dass der Zenit des Gebäudes nicht gewölbt, sondern flach war, eine Fläche, auf der sich zwei Dutzend Helikopter und Flugmobile verteilten.
Tus Jet war um Viertel nach vier in Heathrow gelandet. Noch auf dem Rollfeld hatten Sicherheitskräfte des Konzerns sie in Empfang genommen und zum firmeneigenen Helikopter gebracht, der sie umgehend zur Isle of Dogs flog. Weiter nördlich reckte sich das Hochhausensemble der Canary Wharf im vergeblichen Bemühen, mit dem alles überragenden Big O gleichzuziehen. Privatboote, weiß und winzig, waren auf den Gewässern der umgebauten Werften unterwegs. Jericho sah zwei Männer das Landefeld betreten. Der Helikopter drehte sich in der Luft, setzte auf und öffnete die Seitentüre. Die Männer beschleunigten ihre Schritte. Einer, mit drahtigem schwarzen Haar und zusammengewachsenen Augenbrauen, streckte Jericho die Rechte entgegen, überlegte es sich und hielt sie Yoyo hin.
»Andrew Norrington«, sagte er. »Stellvertretender Sicherheitschef. Chen Yuyun, nehme ich an.«
»Einfach Yoyo.« Sie schüttelte die dargebotene Hand. »Der ehrenwerte Tu Tian, Owen Jericho. Auch sehr
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