Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
Vom Netzwerk:
Tiefe. Nach etwa fünf Metern stoppte er seinen Abstieg und wandte ihnen sein Gesicht zu.
    »So weit alles in Ordnung. Kommen Sie.«
    »Olympiada, Schatz!« Winter nahm die Russin in die Arme, drückte sie an sich und küsste sie auf die Stirn. »Gleich ist es geschafft, meine Süße.« Sie senkte die Stimme zu einem Flüstern: »Und danach verlässt du ihn. Hörst du? Du hast das nicht nötig. Verlass ihn. Keine Frau hat das nötig.«
     
    Die molekularen Bindungen brachen auf.
    Um Stahl wie Butter zu verflüssigen, hätte es höherer Temperaturen bedurft, doch die Hitze reichte, einige der Träger in eine Art zähen Kautschuk zu verwandeln, der sich unter dem Druck der aufliegenden Tonnen langsam deformierte. Zusehends presste Gaias Kopf die geschwächten Materialien in sich zusammen und erzeugte dabei Spannungen, denen die strapazierte Fensterfront und die Mondbetonplatten nicht länger gewachsen waren. Zwischen den Scheiben der Doppelverglasung presste das verdampfende Wasser die Strukturen auseinander – und plötzlich brach eines der Betonmodule einfach auf ganzer Breite durch.
    Gaias Kinnlade senkte sich schwer auf die Fensterfront.
    Nacheinander zersprangen die innere und die äußere Scheibe. Splitter und Wasserdampf wurden ins Vakuum gewirbelt, instabil gewordene Bauteile, zerfetzte Komponenten der Lebenserhaltungssysteme und Asche in einer Kettenreaktion mitgerissen. Wolkig verteilte sich die künstliche Atmosphäre um Gaias Hals und verflüchtigte sich in der Hitze der Sonnenstrahlen, doch der überwiegende Teil lag im Schatten, sodass die Luft dort kristallisierte, während die Kälte des Weltraums ins Innere drang, augenblicklich alle Flammen löschte und den glühenden Stahl so rapide abkühlte, dass er sich nicht langsam verfestigen konnte, sondern in spröder Brüchigkeit erstarrte.
    Wenige Sekunden noch hielten die Träger stand.
    Dann knickten sie ein.
    Diesmal sackte Gaias Kopf ein erhebliches Stück nach vorne, nur noch gehalten vom Hauptstrang des massiven stählernen Rückgrats, das bislang weniger stark in Mitleidenschaft gezogen worden war. Die letzten Reste der Halsfront zersplitterten, das Kinn neigte sich weiter, oberhalb der Schultern barst das Schichtwerk der Isolierung, platzten die Betonmodule weg, und im Lüftungsschacht tat sich eine klaffende Lücke auf.
     
    O'Keefe stürzte rücklings über einen Tisch. Olympiada, die eben Anstalten gemacht hatte, in den Schacht zu klettern, wurde gegen Winter geschleudert und riss sie zu Boden.
    Wir stürzen ab, dachte er. Der Kopf stürzt ab!
    Voller Entsetzen stemmte er sich hoch, fingerte nach Halt. Seine Rechte bekam den Rand der Schleuse zu fassen.
    »In den Schacht«, schrie er. »Schnell.«
    Sein Blick fiel ins Innere.
    In den Schacht?
    Wohl eher nicht! Funaki starrte mit aufgerissenen Augen zu ihm empor, begann wieder nach oben zu klettern, doch etwas hinderte ihn, zerrte an ihm mit aller Gewalt. Er schrie etwas, reckte einen Arm. O'Keefe beugte sich vor, um die ausgestreckte Hand zu ergreifen, als ihn plötzlich das unheimliche Gefühl beschlich, in den Schlund eines lebendigen Wesens zu blicken. Sein Haar, seine Kleidung, alles begann zu flattern. Ein gewaltiger Sog packte ihn, und er begriff schlagartig, was da vonstattenging.
    Die Luft wurde aus Gaias Kopf gesaugt. Irgendwo im Schacht musste ein Leck entstanden sein.
    Das Vakuum drohte sie zu verschlucken.
    Er klammerte sich an den Rahmen, bemüht, Funakis Hand zu erreichen. Der Japaner versuchte unter äußerster Kraftanstrengung zur nächsthöheren Sprosse vorzudringen. Aus dem Augenwinkel sah O'Keefe, wie sich das Schott in Bewegung setzte und heranfuhr, die verdammte Automatik, aber es war ja richtig so, der Schacht musste sich schließen, damit sie nicht allesamt draufgingen, doch Funaki, er konnte Funaki nicht im Stich lassen! Hände krallten sich in seine Kleidung, Winter und Rogaschowa schrien durcheinander, hinderten ihn daran, eingesaugt zu werden. Das Schott rückte näher. So weit es nur ging, streckte er seinen Arm, fühlte seine Fingerspitzen einen Moment lang die des Japaners berühren – dann wurde Funaki von den Sprossen gerissen und verschwand mit gellendem Schrei in der Tiefe.
    Die Frauen zerrten ihn weg. Vor seinen Augen knallte das Schott zu. Atemlos halfen sie einander auf die Beine, rangen um Gleichgewicht auf dem schräg stehenden Boden des Restaurants. Spukhaftes Knarren und Ächzen drang aus Gaias Tiefe zu ihnen empor, Vorboten noch schlimmeren

Weitere Kostenlose Bücher