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Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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und plötzlich fühlte er sich ungerecht behandelt. Ich habe deinen Mann nicht getötet, war er versucht zu sagen, als ob das irgendwas geändert hätte, aber er hatte ihn nun mal nicht getötet, hatte ihn vielmehr verschonen wollen und ihm sogar das Sterben erleichtert, und ausgerechnet dafür sollte er jetzt bestraft werden?
    Sein Blick wanderte zu einem Punkt hoch über ihr.
    Um Himmels willen!
    Abstand! Er musste Abstand gewinnen!
     
    »Zwischen den Beinen hindurch«, rief Amber.
    »Bist du verrückt?« Julian fuhr in hohem Tempo an der Fördermaschine entlang. »Hat dir das vorhin nicht gereicht?«
    Sie beugte den Oberkörper zurück und schaute an dem Giganten empor. Julian hatte recht. Es war zu gefährlich. Erst jetzt, aus unmittelbarer Nähe, erkannte sie, wie riesig der Käfer wirklich war. Ein wandelnder Berg. Jedes seiner sechs Beine konnte ihre Existenz auf einen Schlag beenden. Unterhalb des Rumpfes konzentrierte sich der Staub am dichtesten, war die Sicht gleich null, und jetzt brachen zu allem Überfluss auch noch flächige, weiße Wolken aus Öffnungen entlang der Rumpfnaht und breiteten sich rapide aus. Dann waren sie an der Maschine vorbei und umrundeten ihr Hinterteil, aus dem Lawinen verbackenen Regoliths regneten, wichen dem Schuttregen aus und fuhren entlang der anderen Seite zurück. Zurück zum Kopf des Monstrums.
     
    Omura wollte den Moment auskosten, solange es ging, und so drückte sie nicht gleich ab, sondern sah zu, wie Hanna zurückrobbte, als gäbe es auch nur den Hauch einer Chance, ihr zu entkommen. Ha! Ha! Als bestünde der geringste Anlass zur Hoffnung, dass sie es sich anders überlegen könnte.
    »Angst?«, zischte sie.
    Oh ja, er sollte Angst haben. So wie Warren Angst gehabt hatte. Wir brauchen ihn lebend, hörte sie Julian jammern, das beschissene, blöde Arschloch, das sie hierher gelockt hatte, auf den verkackten Mond, sie und Warren. Lebend? Fick dich, Julian! Sie brauchte ihn aber tot! Und sie würde ihn töten, jetzt, da er sich in die Höhe stemmte, Sayounara, Carl Hanna. Guter Moment.
    Schlechte Sicht.
    Es dunkelte rapide. Was war das schon wieder? Sie bog den Oberkörper zurück, richtete den Blick in die Höhe. Unfassbar! Drecksmond! Wie ging ihr dieser Mond bloß auf den –
    »– Sack«, flüsterte sie.
    Über ihr hing ein schwarzer Stempel.
    Fuhr herab.
    Der Käfer beendete Omuras Existenz, ohne dass sie Gelegenheit zu innerer Einkehr fand, was im Übrigen auch nicht zu ihr gepasst hätte. Stattdessen, in Würdigung ihres Temperaments, da man so sterben sollte, wie man gelebt hatte, explodierte sie ein allerletztes Mal, als im Zuge ihrer physischen Verdichtung Hannas Waffe am Brustpanzer ihres Raumanzugs zerschellte und eines der Geschosse entzweiging. Eine chemische Ehe wurde geschlossen zwischen Duschgel und Shampoo. Das Projektil flog auseinander, und mit ihm zusammen gingen die neun verbliebenen hoch und sprengten den Fuß des Käfers einfach weg.
    Diesmal erging eine Fehlermeldung an die Zentrale der Mondbasis. Sie setzte die Crew über einen Materialschaden am linken vorderen Laufapparat von BUG-24 in Kenntnis, weshalb die Maschine ausfallgefährdet sei und sich abschalten müsse, was sie im selben Moment auch tat. Unmittelbar nach der Explosion stoppte sie jegliche Aktivität, doch es nützte nichts mehr. Die Amputation war vollzogen. Überbelastet durch den Verlust des Vorderbeins knickte auch das mittlere ein, und der Koloss begann sich zu neigen.
     
    Sack. Das letzte Wort, das sie von Momoka gehört hatten.
    »Ich sehe sie nicht«, sagte Amber.
    Wie denn auch, in all dem Staub, dachte Chambers. Immer noch zitterte sie am ganzen Leibe. In ihrer Vorstellung durchlebte sie gebetsmühlenartig den Augenblick, in dem sie fast zertrampelt worden wäre, eine gespenstische Verzeitschleifung ihres Denkens, ein wahrer Murmeltiergedanke, gekrönt von der Vorstellung, sie werde im nächsten Moment aufwachen und ihre Rettung nur geträumt haben, und der stählerne Fuß würde –
    Stählerner Fuß?
    Chambers schaute genauer hin. Etwas an dem Käfer irritierte sie. Eine Halluzination? Waren sie der Maschine oder war die Maschine ihnen näher gekommen?
    Dann sah sie, wie eines der Käferbeine wegbrach.
    »Sie kippt um«, stammelte sie.
    »Was?«
    »Sie kippt um!« Chambers begann zu schreien. »Sie kippt um! Die Maschine kippt um. Sie kippt um!«
    Mit einem Mal schrien alle durcheinander. Unverkennbar war der gewaltige Leib in Schieflage geraten, hatte tatsächlich

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