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Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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wohltuende Gesellschaft seiner selbst entdeckt und großartige Momente des Alleinseins erlebt, nichts über sich als den puren Himmel und das Geschrei der Seevögel, die, auf salzigen Westwinden reitend, das Meer nach verräterisch aufblitzenden Rücken absuchten. Einsamkeit, die desperate Schwester des Alleinseins, empfand er nur in bevölkerten Räumen. Insofern war der Mond, auch wenn er ihm bislang jede Spiritualisierung schuldig geblieben war, durchaus nach seinem Geschmack. Man konnte hier sehr gut alleine sein, einfach indem man hinter einen Hügel ging, sich aus dem Radiowellengeschnatter ausklinkte und so tat, als gäbe es die anderen gar nicht.
    Jetzt, auf dem Flug zur Peary-Basis, wurde ihm sein Selbstbetrug klar. Der Welt den Rücken zuzukehren in der Gewissheit, dass sie da war und man sie in ihrer ganzen lärmenden Zivilisiertheit jederzeit wiederhaben konnte, lächerlich. Selbst in der Weite der Mojave-Wüste, im Hochgebirge des Himalaja, im ewigen Eis teilte man den Planeten mit denkenden Wesen, was dem Alleinsein eine komfortable Grundlage schuf.
    Doch der Mond war einsam.
    Vertrieben aus Gaias schützendem Leib, abgeschnitten von aller Kommunikation, von der gesamten Menschheit, war ihm während der beiden Stunden, die sie nun unterwegs waren, klar geworden, dass Luna auf Homo sapiens keinen Wert legte. Nie zuvor hatte er sich derart ignoriert und bar jeder Bedeutung gefühlt. Das Hotel, dem Verfall preisgegeben. Die Peary-Basis, ins Hypothetische entrückt. Ebenen und Ringgebirge ringsum wirkten mit einem Mal feindselig, nein, weniger als das, da Feindseligkeit ja vorausgesetzt hätte, zur Kenntnis genommen zu werden. Doch im Kontext dessen, was religiöse Menschen als Schöpfung bezeichneten, kam der menschlichen Rasse offenbar noch weniger Bedeutung zu als einer Mikrobe unter einer Fußleiste. Betrachtete man Luna exemplarisch für die Abermilliarden Galaxien des sichtbaren Kosmos, so offenbarte sich, dass all dies nicht für Menschen gemacht war – falls es überhaupt gemacht war.
    Plötzlich fand er Trost in der Gruppe, war dankbar um jedes Wort, das gesprochen wurde. Und obschon er Miranda Winter nicht wirklich gut gekannt hatte, empfand er ihren Tod als persönliche Tragödie, da wenige Zentimeter Griffweite gereicht hätten, ihn zu verhindern. Sie mochte ihren geliebten Louis um die Ecke gebracht, ihren Brüsten Namen gegeben und jeden erdenklichen Schwachsinn geglaubt haben, den angetrocknete Hollywood-Diven wie Olinda Brannigan den Karten und dem Kaffeesatz entnahmen; ihr Selbstverständnis, ihre wild vergnügte Entschlossenheit, sich durch nichts und niemanden die Laune verderben zu lassen, das Erhabene im Lächerlichen, all das hatte er an ihr bewundert und wohl auch ein bisschen geliebt. Und er fragte sich, ob er in seiner Überheblichkeit jemals so ehrlich gewesen war wie Miranda Winter in ihrer Schlichtheit.
    Sein Blick wanderte zu Lynn Orley.
    Was war ihr widerfahren?
    Die lebende Tote, wie ausgelöscht. Hedegaard hatte Wachowski gegenüber von einem Schock gesprochen, doch eher schien es ihm, als durchlaufe sie eine Art Selbstzerstörungsprogramm; seit Mirandas Tod hatte sie kein Wort mehr gesprochen. Kaum etwas ließ darauf schließen, dass sie ihre Umwelt überhaupt noch wahrnahm. Nicht das Geringste drang über den Ereignishorizont hinaus, gelangte nach außen.
    Sie war ein Schwarzes Loch geworden.
    Zugleich fand sie sich am Grunde des Schwarzen Loches sitzend und fähig, dem Widerhall ihrer Gedanken nachzuspüren. Was ungewöhnlich war für ein Hawking'sches Schwarzes Loch. Irgendwas stimmte da nicht. Wäre sie tatsächlich in ihr kollabierendes Zentrum gestürzt und als Singularität geendet, hätte dies zugleich das Ende aller Kognition bedeutet. Stattdessen war sie irgendwohin gelangt. Anders jedenfalls war es nicht zu erklären, dass sie immer noch dachte und Mutmaßungen anstellte, wozu auch gehörte, dass es ihr wahrscheinlich besser ginge, wären nicht gewisse grüne Tabletten verbrannt, als mit der Zerstörung des Hotels jede Hoffnung auf eine Nachricht Hannas erloschen war. Falls er sich überhaupt noch in der Lage sah, Nachrichten abzuschicken.
    Inzwischen, den aus den Fugen geratenen Abend vor Augen, stellten sich bei Lawrence diesbezüglich Zweifel ein. War vielleicht ein wenig Pessimismus angezeigt? Was konnte am Aristarchus nicht alles geschehen sein? Womöglich, natürlich ohne Hanna deswegen gleich abzuschreiben, sollte sie sich mit der Möglichkeit vertraut

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