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Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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lehnte sich an die Tanks in seinem Rücken.
    Wartete.
    Minuten verstrichen, und er wurde unsicher. Hatte er sich geirrt? Dass der Zug beladen war, musste nicht automatisch bedeuten, dass er auch abfuhr. Doch noch während er darüber nachsann, ruckelte es sacht, und als er den Kopf drehte, sah er die Spinne aus seinem Blickfeld verschwinden. Dann folgte der Druck der Beschleunigung, als der Zug schneller und schneller wurde. Die Ebene flog an ihm vorbei, die Sättigung der Umgebung mit Staub nahm ab. Erstmals seit seiner Enttarnung fühlte Hanna sich nicht mehr in einem Albtraum gefangen, den ein anderer träumte.
     
    »Hoppers«, fluchte Julian. »Lausige Grasshoppers!«
    Mit letzter Kraft hatten sie es zur Förderstation geschafft. Lediglich Rogaschow, darauf trainiert, so lange stehen zu bleiben, bis seine Gegner von selber umfielen, ließ keinerlei Anzeichen von Erschöpfung erkennen, hatte seine leise, kontrollierte Sprechart wiedergefunden und verströmte wie gewohnt die Frische eines untertemperierten Zimmers. Dafür war Amber zu schwören bereit, ihr Anzug habe ein bösartiges Eigenleben entwickelt zum Zweck, ihrer Motorik entgegenzuarbeiten und sie der ungewohnten Erfahrung der Klaustrophobie auszusetzen. Klatschnass hing sie in ihrer Montur, gebadet in üblen Gerüchen. Ähnlich ging es Chambers, traumatisiert vom Beinahe-zertrampelt-werden und nicht wirklich sicher auf den Beinen. Selbst Julian schien die überraschende Entdeckung zu machen, dass er sechzig Jahre auf dem Buckel hatte. Nie zuvor hatten sie Peter Pan so sehr schnaufen hören.
    Kurze Zeit später wussten sie, dass es in der gesamten Station nicht eine einzige Sauerstoffreserve gab.
    »Wir könnten aus den Lebenserhaltungssystemen Luft gewinnen«, schlug Chambers vor.
    »Könnten wir, ist aber nicht so einfach.« Sie saßen im Habitat und tranken Tee. Julian hatte den Helm abgenommen. Sein Gesicht war gerötet, sein Bart zerzaust, als habe er stundenlang darin nach Lösungen gewühlt. »Wir brauchen komprimierten Sauerstoff. Dafür müssten wir Verschiedenes umbauen, und offen gestanden –«
    »Keine falsche Scheu, Julian. Sag's einfach.«
    »– weiß ich im Augenblick auch nicht mehr, wie das geht. Also, ich weiß es in etwa. Aber das löst unser Problem nicht. Wir könnten nur unsere Tanks auffüllen. Alle Reservetanks sind verschwunden.«
    »Carl«, sagte Rogaschow tonlos.
    Amber starrte vor sich hin. Natürlich. Hanna war im Habitat gewesen. Sie hatten die Station in ständiger Erwartung durchkämmt, von ihm attackiert zu werden, doch er hatte sich aus dem Staub gemacht. Was die Frage nach dem Wie aufwarf, da augenscheinlich keiner der Hopper fehlte – bis Julian die Fahr- und Einsatzpläne entdeckte und herausfand, dass unmittelbar vor ihrem Eintreffen ein Helium-3-Transport zur Peary-Basis gestartet war.
    »Also ist er dorthin unterwegs.«
    »Ja. Und vom Pol zurück ins Hotel.«
    »Gut, ihm nach! Wann geht der nächste Zug?«
    »Hm, lass mich mal schauen. – Oh, übermorgen.«
    »Übermorgen?«
    »Leute, die Amerikaner pumpen hier nicht im Stundentakt Ströme von Helium-3! Es sind kleine Mengen. Später einmal werden mehr Züge gehen, aber zurzeit –«
    »Übermorgen. Verdammt! Zwei Tage festsitzen.«
    Auch die Satelliten blieben unverändert jedes Entgegenkommen schuldig. Amber hockte vor ihrem kalt werdenden Tee, als könne sie durch Hochziehen der Schultern verhindern, dass sich ihr Kopf zu den Füßen gesellte. In ihrem Schädel schien eine Behörde Quartier bezogen zu haben. Einerseits fürchtete sie überzuschnappen vor Angst um Tim, Lynn und die anderen. Zugleich war es, als blicke sie auf den gebirgigen Horizont eines Schreibtischs, der sich unter den Anforderungen ihres eigenen Überlebens bog. Niemand kam, um zu helfen. Anträge auf Trauer und Betroffenheit lagen unbearbeitet herum, die Sektion für Empathie hatte sich geschlossen in die Kaffeepause verabschiedet, im Untersuchungswesen für posttraumatische Syndrome lief der Anrufbeantworter und verwies auf die Geschäftszeiten. Jede zweite Dienststelle hatte wegen Verdrängung geschlossen. Ihr war nach Weinen, wenigstens nach ein bisschen Wimmern, doch Tränen bedurften der Anforderung durch ein gerade nicht auffindbares Formular, während das Dezernat für Dissoziation Überstunden schob. Fluchtpläne wurden geprüft, erwogen und verworfen, derweil ihr schockiertes Selbst in Gesellschaft fünf Verstorbener darauf wartete, dass sich einer der vorbeieilenden Botenstoffe

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