Limit
Koordinatengeber ihrer Existenz den Blick von ihr nähmen.
»Ich habe ihm gesagt, er könne mich am Arsch lecken«, verkündete sie und ließ sich neben Heidrun sinken.
»Und wie hat er reagiert?«
»Genau das werde er nicht tun, er wünsche mir aber viel Glück.«
»Im Ernst?«, staunte Heidrun. »Du hast gesagt, du willst ihn verlassen?«
Rogaschowa schaute mit der lustvollen Scheu eines Teenagers an sich herab, der das Neuland seines Körpers erkundet.
»Meint ihr, ich bin zu alt, um noch mal –«
»Blödsinn«, sagte Heidrun entschieden.
Olympiada lächelte, hob den Blick und schweifte ab. Eine imaginäre Miranda Winter schlug Purzelbäume in der Schwerelosigkeit, jauchzte und quiekte. O'Keefe las, um nicht sehen zu müssen, wie ihre rot geschminkten Lippen sich zu einer Blüte der Verheißung stülpten, bevor sie Worte von epochaler Schlichtheit formten. Sie durcheilten den Weltraum in der Allgegenwart Rebecca Hsus, hörten Momoka Omura lustvoll spotten und Warren Locatelli prahlen, Chucky schlechte Witze noch schlechter erzählen, als sie es verdient hätten, Aileen Sträuße kunterbunter Lebensweisheiten binden, Mimi Parker und Marc Edwards Erfüllung im Wir finden und Peter Black das Neueste aus Raum und Zeit erzählen. Selbst Carl Hannas Gitarrenspiel vernahmen sie, das des anderen Carl, der kein Terrorist, sondern ein netter Kerl gewesen war. Walo Ögi klebte Schach spielend unter der Decke und verlor seine dritte Partie gegen Karla Kramp, Eva Borelius strampelte im Hamsterrad der Selbstvorwürfe, und Dana Lawrence, die erklärte Heldin, schrieb einen Bericht.
Chambers schwieg, dankbar für die Leere in ihrem Kopf.
Erstmals, seit sie den Mond verlassen hatten, ging es ihr deutlich besser. Rückblickend war ihr die sogenannte Grenzerfahrung im Fördergebiet peinlich, sodass sie nicht darüber sprach, doch irgendwann würde sie Worte dafür finden müssen. Ein unbestimmtes Grauen hielt sie gefangen, als sei eine monströse Wesenheit im Nebelmeer auf sie aufmerksam geworden und beobachte sie seitdem, doch auch damit würde sie fertigwerden. Sachte stieß sie sich ab, überließ Olympiada sich selbst und schwebte hinüber ins Bistro.
»Wie geht's?«, fragte sie.
»Gut.« Rogaschow, eingeklemmt in eine Halterung, schaute von seinem Computer auf. »Und dir?«
»Besser.« Sie ließ den Zeigefinger über ihrer Schläfe kreisen. »Der Druck lässt nach.«
»Freut mich zu hören.«
»Was dagegen, wenn ich meiner berufsmäßigen Neugier nachgebe?«
»Du darfst alles fragen.« Rogaschows Lächeln schmolz das Eis zwischen seinen blonden Wimpern ein wenig. »Solange du nicht erwartest, auf alles eine Antwort zu bekommen.«
»Was rechnest du da die ganze Zeit?«
»Julian verdient eine Reaktion. Wir verdanken ihm eine fulminante Woche. Wie immer sie geendet haben mag, uns wurde eine Menge geboten. Dafür wird nun einiges von uns erwartet.«
»Du willst investieren?«, fragte Mukesh Nair im Heranschweben.
»Warum nicht?«
»Nach diesem Desaster?«
»Na und?« Rogaschow zuckte die Achseln. »Haben Menschen aufgehört, Schiffe zu bauen, bloß weil die Titanic unterging?«
»Ich gestehe, ich bin verunsichert.«
»Du kennst doch die Mechanik des Scheiterns, Mukesh. Immer ist es die Angst vor der Krise, die sie auslöst. Am Anfang steht ein überschaubares Problem, aber es zieht eine Psychose nach sich. Eine Hai-Psychose. Ein einziger Hai reicht, um den Tourismus einer ganzen Region zum Erliegen zu bringen, weil keiner mehr ins Wasser geht, obschon die Wahrscheinlichkeit, dass auch er gefressen wird, gegen null tendiert. Das Zusammenbrechen der Wirtschaft, der Kollaps der Finanzmärkte, immer hatten wir es mit Psychosen zu tun. Nicht der einzelne terroristische Anschlag, nicht der Bankrott einer einzelnen Bank, die anschließende allgemeine Paralyse wird zur Bedrohung. Soll ich meine Entscheidung, in Julians Vorhaben, in den Umbruch der weltweiten Energieversorgung zu investieren, von einem Hai abhängig machen?«
»Der Hai war eine Atombombe, Oleg!« Nair riss die Augen auf. »Möglicherweise der Beginn eines globalen Konflikts.«
»Oder auch nicht.«
»Jedenfalls kann Julian nichts dafür«, bekräftigte Chambers. »Wir wurden Opfer eines Anschlags, dessen Adressat jemand ganz anderer war. Wir waren einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort.«
»Aber immer noch weiß niemand, wer dahintersteckt!«
»Und was willst du mit deiner Unkenntnis anfangen?«, fragte Rogaschow spöttisch. »Die
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