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Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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er sich der Nähe für unwert hält. Aber Yoyo hat es falsch verstanden. Dass sie irgendwas verkehrt macht. Durch sein Schweigen hat er ihr einen Riesenschuldkomplex aufgeladen, ganz entgegen seiner Absicht, aber du hast ihn ja kennengelernt. In sich selbst eingemauert.« Tu seufzte. »Vorgestern Nacht in Berlin, als ich mit Yoyo um die Häuser zog und du schmollend im Hotel gesessen hast, habe ich ihr schließlich meine Geschichte erzählt, und Yoyo, klug wie sie ist, wollte sofort wissen, ob Hongbing Ähnliches widerfahren ist.«
    »Was hast du gesagt?«
    »Nichts.«
    »Er wird mit ihr reden müssen.«
    »Ja.« Tu nickte. »Wenn er seiner Versteinerung Herr wird. Du musst wissen, im Geheimen, ohne dass sie je etwas davon mitbekommen hat, kämpft er immer noch um seine Rehabilitierung.«
    »Und du? Bist du je rehabilitiert worden?«
    »2002, als ich Manager in dem Softwarekonzern wurde, beschloss ich, Klage einzureichen. Neunmal wurde meine Eingabe abgewiesen. – Dann, vollkommen unerwartet, hieß es, alles sei ein höchst bedauernswerter Irrtum und ich Opfer einer Fehldiagnose gewesen, krimineller Machenschaften gar! Mein Ansehen war wiederhergestellt, meiner Karriere der Weg geebnet. Durch Fürsprache erwirkte ich, dass Hongbing Leiter des technischen Service einer Mercedes-Niederlassung wurde, womit seine Existenz so weit gesichert war, dass auch er endlich vor Gericht ziehen konnte, und seitdem prozessiert er. Hat Kartons voller Unterlagen gesammelt, ärztliche Gutachten, die belegen, dass er nie geisteskrank war, doch bis heute wurde das Urteil gegen ihn nur teilweise revidiert. Ich hatte mich mit einer korrupten Firmenleitung angelegt, mit Verbrechern eben, doch er hatte gegen die Partei opponiert. Und die Partei ist ein Elefant, Owen. Es bleibt also ein Makel an ihm haften, eine tiefe Verwundung. Ich denke, wäre er vollständig rehabilitiert, könnte er sich Yoyo vielleicht anvertrauen, aber so –«
    Jericho drehte den Becher zwischen seinen Fingern.
    »Yoyo muss die Wahrheit erfahren, Tian«, sagte er. »Wenn Hongbing nicht mit ihr redet, wirst du das übernehmen müssen.«
    »Na ja.« Tu nestelte seine Brille wieder auf die Nase und grinste schief. »Nach dem heutigen Morgen hab ich jedenfalls Erfahrung darin.«
    »Danke, dass du's mir erzählt hast.«
    Tu schaute versonnen auf die leer geplünderten Chipstüten. Dann sah er Jericho in die Augen.
    »Du bist mein Freund, Owen. Unser Freund. Du gehörst zu uns. Es geht dich was an.«
     

2. JUNI 2025
    [LYNN]
    LONDON, GROSSBRITANNIEN
     
    Die Adresse 85 Vauxhall Cross im Südwesten der Stadt, am Ufer des Albert-Embankments nahe der Vauxhall-Brücke gelegen, erweckte den Eindruck, als habe König Nebukadnezar II. versucht, aus Legosteinen einen babylonischen Zikkurat zu errichten. Tatsächlich barg der sandfarbene Klotz mit den grünen Panzerglasflächen das schlagende Herz der britischen Sicherheit, den Secret Intelligence Service, auch SIS oder MI6 genannt. Der verspielten Anmutung zum Trotz handelte es sich um ein wahres Bollwerk gegen die Feinde des Vereinigten Königreichs, an dem sich zuletzt ein Kommando der IRA die Zähne ausgebissen hatte, vor 25 Jahren, als es vom gegenüberliegenden Ufer eine Rakete darauf abfeuerte, ohne wesentlich mehr ins Wackeln zu bringen als das Geschirr in der geheimdienstlichen Coffee Lounge.
    Jennifer Shaw war auf dem Weg zum Geburtstagsdinner ihres Sohnes, als sie einen Anruf von höchster Stelle erhielt. Sie schaltete auf Empfang, und die Stimme Cs füllte das lederduftende Innere ihres frisch restaurierten Jaguars Mark II. In der Vorstellung der meisten Menschen hieß der Kopf des britischen Auslandsgeheimdienstes seit 31 James-Bond-Filmen M, was der Realität ziemlich nahekam, nur dass Sir Mansfield Smith-Cumming, der legendäre erste Direktor, das C eingeführt hatte und seither alle Direktoren C hießen – auch, weil es so schön für control stand.
    »Hallo, Bernard«, sagte Shaw in der Gewissheit, dass der Abend gelaufen war.
    »Jennifer. Ich hoffe, ich störe nicht.«
    Eine Floskel. Bernard Lee, dem derzeitigen Direktor, war es herzlich egal, ob und wobei er sie störte. Die einzige Störung, die er als solche empfand, war die der nationalen Sicherheit.
    »Ich bin auf dem Weg ins Bibendum«, sagte sie wahrheitsgemäß.
    »Oh, immer exzellent. Der Rochenflügel vor allem. Ich war schon lange nicht mehr dort, könnten Sie vorher kurz bei mir reinspringen?«
    »Wie kurz ist kurz?«
    »Natürlich nur, solange Sie

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