Limit
an.
»Keinen Hunger?«, fragte er.
»Doch. Ich hab nur meinen Bericht in der Charon vergessen.«
Er stoppte vor seiner Kabine, die Lasagne balancierend. Konnte man klug werden aus dieser Frau? Im Gaia hatte sie Nerven bewiesen, dem Verräter Kokoschka getrotzt und Hanna erledigt. Lynn hätte keine bessere Wahl treffen können, und genau dieses rational Zwingende, dass man klaren Verstandes gar nicht umhinkam, Lawrence für den Posten zu besetzen, irritierte ihn. Vielleicht lag es an seinem Frauenbild, vielleicht auch ganz allgemein an seinem Menschenbild, dass er wenig mit ihr anzufangen wusste. Weder konnte er sich vorstellen, sie in Tränen noch in Gelächter ausbrechen zu sehen. Ihr Madonnengesicht mit dem herzförmigen Mund und den prüfenden Augen erinnerte ihn an das einer Replikantin, an die pflanzliche Doppelgängerin von Brooke Adams in Die Körperfresser kommen im Moment, als sie den Mund öffnet und der unirdisch hohle Schrei eines Aliens erklingt. Von unverkennbar hoher Intelligenz, in passabler Weise mit den Attributen der Attraktivität ausgestattet, war Dana Lawrence zugleich meilenweit von jeder Leidenschaft entfernt.
»Ich muss Ihnen danken«, sagte er. »Ich weiß, dass Lynn in der Krise nicht immer ganz – auf der Höhe war.«
»Sie hat sich bemerkenswert gut geschlagen.«
»Ich weiß aber auch, dass Lynns anfängliche Begeisterung für Sie in Ablehnung umgeschlagen ist.«
Lawrence schwieg.
»Sehen Sie's ihr nach.« Er zögerte. »An sich ist sie perfekt in – gut in dem, was sie tut. Sie hat ein gutes Urteilsvermögen, aber das war wohl ein wenig getrübt. Sie waren besonnen und mutig, Dana.«
»Ich hab meinen Job gemacht.« Lawrence lächelte, ein mimisches Manöver, das ihre Züge weicher, aber nicht sinnlicher erscheinen ließ. »Würden Sie mich entschuldigen?«
»Sicher.«
Sie schwebte an ihm vorbei und verschwand in der nächsten Abzweigung. Julian vergaß sie im selben Moment. Hungrig schnupperte er an seiner Lasagne, schaute in den Scanner und glitt in seine Kabine.
Lawrence gelangte in Torus-1 mit seinen Bars, Bibliotheken und Aufenthaltsräumen, hangelte sich zur Decke und stieg in dem langen Tunnel nach oben, der das OSS Grand mit Torus-2 verband. Inzwischen taten nur noch zwei Astronauten im Terminal Dienst.
»Ich bin kurz in der Charon«, sagte sie. »Unterlagen holen.«
Einer der Männer nickte. »Alles klar.«
Sie wandte sich ab, verschwand im Korridor, der Torus-2 mit dem äußeren Ring des Raumhafens verband, und trieb der Schleuse entgegen, hinter der das Raumschiff in seiner Verankerung ruhte. Noch lief alles nach Plan. Noch hatte Hydra nicht verloren, im Gegenteil. Einzig Lynns Misstrauen irritierte sie, da sie sich dessen Zustandekommen nicht zu erklären vermochte. Aber auch das spielte nicht wirklich eine Rolle. Lawrence öffnete das Schott zur Charon, blickte hinter sich, doch niemand war ihr durch den Korridor gefolgt. Im Picard erlagen sie Lasagne und Heimweh. Mit Schwung begab sie sich ins Innere der Landeeinheit und weiter ins Wohnmodul, durchquerte das Bistro, den Salon, machte sich im Schlafbereich an der Wandverkleidung zu schaffen.
Hanna hatte ihr genauestens beschrieben, wo.
Und da war sie.
Das Wetterleuchten der Erinnerung. Erstaunlich, wie es inmitten diffuser Bewölkung Zusammenhänge sichtbar machte. Was genau sie in dem Iglu getan hatte, war ihr entfallen, doch Carl Hanna hatte sie deutlich vor Augen, bevor sie in der kleinen Kaffeeküche zu Boden gesunken war, starr vor Angst. Sie sah ihn Tommy Wachowski ermorden, hörte sein leises, verräterisches Fluchen:
Dana, verdammt noch mal. Geh ran!
Dana.
Erst vor wenigen Stunden hatte es in ihrem Kopf geleuchtet, als Lawrence sich scheinheilig nach ihrem Befinden erkundigt hatte, da aber gewaltig. Hanna hatte versucht, Verbindung zu der Schlampe aufzunehmen, auf eine Weise, die nahelegte, dass die Kontaktaufnahme verabredet war. Aus welchem Grund? Die erforderlichen Schlüsse zu ziehen hatte sie ein erhebliches Maß an Kraft gekostet, zu viel, um auch noch Julian davon in Kenntnis zu setzen, zumal sie neuerdings nicht mehr viel mit ihrem Vater sprach. Ihr war aufgefallen, dass es ihr besser ging, sobald sie ihn aus dem Zentrum ihres Denkens verbannte. Zugleich vermisste sie ihn, so wie eine Marionette die Hand vermisst, die sie in Bewegung hält, und dass sie ihn eigentlich vergötterte, war ihr zumindest auf intellektueller Ebene bewusst. Vielleicht fühlte sie nicht mehr, was sie
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