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Limonow (German Edition)

Limonow (German Edition)

Titel: Limonow (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emmanuel Carrère
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dringen in die Hütte ein, zerren die Schlafenden aus ihren Schlafsäcken und zwingen sie hinauszugehen und sich in den Schnee zu knien, der in diesen Höhen morgens noch nicht geschmolzen ist. Es sind mindestens dreißig Mann, sie tragen Gesichtsmasken und Maschinenpistolen an der Hüfte und halten die Wolfshunde zurück, die ein Höllenspektakel machen. Eduard, der seine Brille verloren hat, findet sich nur tastend zurecht. Er trägt wollene Unterhosen und ist barfuß. Als Chef erlaubt man ihm, sich vor den anderen anzuziehen. Der Soldat, der damit betraut ist, ihn in die Hütte zu begleiten, nutzt die Gelegenheit, um ihm zuzustecken, er bewundere seine Bücher und sei stolz, ihn zu verhaften. Er ist dabei kein bisschen ironisch und sieht wirklich stolz und glücklich aus; fast würde er ihn um ein Autogramm bitten.
    Doch nun zu den ernsten Dingen. »Wo sind die Waffen?«
    »Welche Waffen?«
    »Spielen Sie nicht den Dummen!«
    Die Durchsuchung verläuft gründlich: mit Hunden und Metalldetektoren, aber außer den beiden Jagdflinten sind keine Waffen zu finden – und ich gestehe, dass mich das überrascht. Es wäre so einfach gewesen, ihnen welche unterzuschieben. Schreiben wir diese vorschriftshörige Gewissenhaftigkeit dem Konto des FSB gut.
    Mit den Händen am Kopf treibt man die sechs Nazboly in einen Militärlaster. Eduard seinerseits teilt die komfortable Limousine des Oberst Kusnezow, einem Koloss, der seine verspiegelten Ray Ban zu keinem Zeitpunkt abnimmt und, sobald die verwüstete Einsiedelei nicht mehr im Rückspiegel zu sehen ist, aus dem kleinen Kühlschrank Wodka und Sakuskis hervorholt. Jetzt kann man sich entspannen, es sind acht Stunden Fahrt bis zur FSB -Basis in Gorno-Altaisk, wo ein Spezialflugzeug auf die Gefangenen wartet. » VIP -Behandlung«, kommentiert der Oberst. Begeistert von der geglückten Operation kippt er sich Gläschen um Gläschen hinunter und besteht darauf, dass Eduard ihm dabei zur Seite steht – was dieser, maßvoller, auch tut –, und bei der zweiten Flasche treibt er die Herzlichkeit so weit, ihm zu gestehen, die Nazboly seien für ihn ein bisschen wie eine Familie geworden, seitdem er mit ihrer Aufsicht betraut sei. Eduard ist erstaunt: Er glaubte den für seine Partei zuständigen Offizier zu kennen. »Oh nein«, erwidert der Oberst, »das ist ein Waschlappen, dem hat man den Job schon vor zwei Jahren abgenommen. Nach der Geschichte mit Michalkow.« Er, Kusnezow, sei es gewesen, der auf Bitte des Filmemachers durchgegriffen habe. Und er sei es auch gewesen, der zwei Monate zuvor die Nazboly auf dem Weg nach Riga geschnappt habe.
    »Reine Schikane«, sagt Eduard, »sie hatten keine Drogen.«
    Der andere bricht in ein lautes, komplizenhaftes Lachen aus: »Nein, sie hatten keine Drogen. Was für ein Witz!«
    Eduard wird wütend, und wenn er wütend ist, wird seine Stimme immer schroffer und abgehackter. »Das war Euch wohl nicht peinlich, Jungs ein Bein zu stellen, die sich abkämpfen, um einen der Euren aus dem Gefängnis zu holen? Felix Dserschinski, Euer Gründer, würde sich im Grab umdrehen, wenn er Euch sähe! Das war ein großer Mann! Und Ihr, wisst Ihr, was Ihr seid? Arschlöcher, die nicht würdig sind, den schönen Namen Tschekist zu tragen!«
    Nach dieser Beleidigung könnte der Oberst seine Macht spielen lassen, stattdessen ist er plötzlich ganz kleinlaut. Man könnte glauben, gleich finge er an zu heulen.
    »Warum magst du uns nicht, Wenjaminowitsch?«, seufzt er. »Warum ist ein Typ wie du nicht auf unserer Seite? Wir könnten großartige Dinge zusammen anstellen …«
    »Wollen Sie mich anwerben?«
    Der andere reicht ihm die Hand. Er hat getrunken, aber er wirkt aufrichtig. Eduard zuckt mit den Schultern.
    »Leck mich am Arsch.«

IX

Lefortowo,
Saratow,
Engels,
2001–2003

1
    Sein ganzes Leben lang hat Eduard davon geträumt. Als er als Kind Der Graf von Monte Christo las. Als er seinen Oberaufseher von Vater seiner Mutter eines Nachts die Geschichte dieses Todeskandidaten erzählen hörte, der so furchtlos, ruhig und selbstbeherrscht war, dass er ihn zum Helden seiner Jugend erklärte. Für einen Mann, der sich als Romanhelden sieht, ist das Gefängnis ein Kapitel, das man nicht auslassen darf; und ich bin sicher, dass Eduard weit davon entfernt war, sich durch seine Verhaftung entmutigt zu fühlen, und stattdessen jeden Augenblick – fast hätte ich gesagt jede Einstellung – dieser hundertfach gesehenen Filmszenen genoss: die zivilen Kleider

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