Limonow (German Edition)
zu erklären, dass diese Wahnvorstellung ein Import aus der Ud SSR ist, wo auch das erbärmlichste Zimmer ein wertvolles Gut ist und Leute tatsächlich monatelang verschrobene Pläne aushecken können, um ihre Nachbarn zu vergraulen und selbst der 9 m 2 habhaft zu werden, in die sie sich dann zu viert hineinpferchen. Es nützt nichts, ihm zu erklären, dass es in Amerika anders läuft, denn er hängt an dieser Wahnvorstellung, sie ist seine letzte Verbindung zu der schmutzigen Kommunalka , die er so bedauert verlassen zu haben, ohne dass er es zugibt. Und dann gibt es Lionja Kossogor, den tapferen Lionja Kossogor, der zehn Jahre in Kolyma verbracht hat und seinen ganzen Stolz daraus bezieht, dass sein Name in voller Länge im Archipel Gulag erwähnt wird. Jeder in der Emigration nennt ihn »den Typen, über den Solschenizyn geschrieben hat«, und da zehn Jahre mehr sind als das, was Solschenizyn bekommen hatte, meint Lionja, er könne ja ebenso über den Gulag schreiben und reich und berühmt werden, aber natürlich tut er es nicht. Seit er Eduard fast bewusstlos und halb erfroren auf dem Gehsteig fand, lässt er nicht mehr von ihm ab, er ist sein gutes Werk. Vielleicht mischt sich in seine wirkliche Nächstenliebe auch die heimliche Genugtuung, diesen arroganten jungen Mann eine Schlappe erleiden zu sehen; denn aus der Befürchtung heraus, Lionja könne ihm Unglück bringen, ließ Eduard ihn früher links liegen, wenn er ihm begegnete. Vielleicht ist es Lionja nicht unlieb, Eduard in die Bruderschaft der losers aufgenommen zu sehen, als er ihn zum Welfare -Büro begleitet, dem Sozialdienst für Bedürftige, wo man diesem 278 Dollar im Monat gewährt.
Das billigste Zimmer in einem so heruntergekommenen Hotel wie dem Winslow kostet 200 Dollar im Monat. Bleiben 78, das ist wenig, aber Eduard will keine Arbeit suchen. Es stört ihn nicht, sich mit kalifornischem Wein zu 95 Cents die Anderthalbliterflasche zu besaufen, in den Abfällen der Restaurants herumzuwühlen, seine Landsmänner anzupumpen oder im schlimmsten Fall Handtaschen zu klauen. Er ist ein Stück Scheiße, also wird er wie ein Stück Scheiße leben. Seine Tage verbringt er damit, ziellos durch die Straßen zu streunen, allerdings mit einer Vorliebe für die armen und gefährlichen Viertel, wo er weiß, er riskiert nichts, denn er ist selbst arm und gefährlich. Er schlüpft in verlassene Häuser mit zugenagelten Fensterläden, die umzäunt sind mit Brettern voller Grünspan. Darin finden sich stets in einer Urinlache zusammengekauert ein paar Penner, mit denen er sich gerne unterhält, allerdings selten in einer gemeinsamen Sprache. Er sucht auch gern in Kirchen Zuflucht. Eines Tages während einer Messe rammt er sein Messer in einen Betstuhl und tut, als würde er ihn zum Beben bringen. Die Gläubigen beobachten ihn besorgt aus dem Augenwinkel, aber niemand wagt, sich ihm zu nähern. Abends leistet er sich manchmal einen Pornofilm, aber weniger, um sich zu erregen, als um heimlich leise zu weinen und dabei an die Zeiten zu denken, da er mit seiner umwerfenden Frau hierher kam, sie zum Höhepunkt brachte und damit diese Wracks eifersüchtig machte, zu denen er nun selbst gehört.
Wo ist Elena jetzt? Er hat keine Ahnung; er will es auch nicht mehr wissen. Seit dem gigantischen Sapoj nach ihrem Weggang ist er nicht wieder in der Nähe des Lofts gewesen, in dem sie möglicherweise wohnt. Wenn er ins Hotel zurückkehrt, holt er sich einen runter und denkt dabei an sie. Was bei ihm die größte Wirkung zeigt, ist nicht die Vorstellung, wie er sie fickt, sondern wie sie sich ficken lässt, und zwar nicht von ihm. Eher von Jean-Pierre oder dessen lesbischer Freundin und ihrem großen Dildo, mit der Elena ihm einmal einen flotten Dreier geschildert hat, um ihn noch eifersüchtiger zu machen. Was empfindet Elena, wenn sie Analsex hat und ihren Ehemann Limonow betrügt? Um es selbst zu spüren, steckt er sich eine Kerze in den Hintern, hebt und spreizt die Beine, beginnt zu keuchen und zu stöhnen wie sie und das zu sagen, was sie ihm sagte und vermutlich auch den anderen sagt: »Ja, das ist gut, er ist riesig, ich spüre ihn ganz tief«, solche Sachen. Er kommt, bleibt liegen, den Bauch voll von klebrigem Sperma. Es lohnt sich nicht, es mit einem Taschentuch abzuwischen, die Laken sind ohnehin dreckig. Mit den Fingerspitzen nimmt er ein wenig davon und leckt es ab, schluckt es mit etwas schlechtem Rotwein hinunter, überwindet die aufsteigende Übelkeit und
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