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Lincolns Träume

Lincolns Träume

Titel: Lincolns Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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wahr? Könnte Lincolns Traum auf der Wirkung einer Droge beruht haben, die er eingenommen hatte?«
    »Ja, sicherlich. Laudanum war bekannt dafür…«
    »Was ist mit Elavil? Könnte es Träume auslösen?«
    Er zuckte die Achseln. »Nein, Elavil unterdrückt eher den Traumzyklus. Das tun alle Antidepressiva, und die Barbiturate natürlich auch: Seconal, Phenobarbital, Nembutal. Der Patient träumt im allgemeinen überhaupt nicht, wenn er eines dieser Mittel nimmt. Wenn es abgesetzt wird, nimmt die Häufigkeit und Lebhaftigkeit der Träume allerdings dramatisch zu, deshalb könnte man, glaube ich, sagen, daß sie in dieser Hinsicht Träume auslösen. Aber das sind natürlich moderne Medikamente«, sagte er, wobei er Broun ansah. »Lincoln wird keins von ihnen genommen haben.«
    »Was meinen Sie damit, Zunahme der Lebhaftigkeit?« fragte ich.
    »Die Medikamente führen zu einem Traumdefizit, das durch verstärkte Traumaktivität kompensiert wird, sobald man die Medikamente beim Patienten absetzt. Der Patient erlebt mehrere Tage lang das, was wir ein ›Traumgewitter‹ nennen, starke beängstigende Alpträume in rascher Folge. Es ist das gleiche, was passiert, wenn man einem Patienten mehrere Tage lang nicht schlafen läßt. Wir raten generell von einem plötzlichen Absetzen von Antidepressiva und Sedativa ab, damit kein Traumgewitter ausgelöst wird.« Er blickte mich beinahe so scharf an wie sonst Broun. »Nehmen Sie Elavil?«
    »Nein«, sagte ich. »Lincoln litt nach Willies Tod an Schlaflosigkeit. Ich dachte mir, daß sein Arzt ihm vielleicht etwas zum Schlafen verordnet haben könnte, das ihn schlecht träumen ließ, und deshalb habe ich unter ›Schlaflosigkeit‹ nachgeschlagen, und da stand, Elavil sei in diesem Falle angebracht, aber offensichtlich befand ich mich im falschen Jahrhundert.« Ich stand auf. »Wir sprechen vom Schlafen und von Drogen und Verstopfung. Möchte vielleicht jemand einen Kaffee? Oder bekommen Sie von Kaffee ebenfalls Alpträume?«
    »Es wurde tatsächlich nachgewiesen, daß Koffein einen erheblichen Einfluß auf das Träumen hat.«
    »Ich mache koffeinfreien«, sagte ich und ging hinunter in die Küche.
    Broun hatte dort ein weiteres Telefon, einen zweiten Anschluß. Ich wählte die Nummer des Telefons oben im Studierzimmer, und bevor es klingeln konnte, tippte ich den Fernbedienungscode ein, der die Nachricht abrufen würde. Die einzige Nachricht im Gerät war von Broun. »Ich bin auf dem Rückweg von New York, Jeff. Ich müßte so gegen zehn ankommen. Ich bin um elf mit einem Dr. Stone vom Schlafinstitut verabredet. Er hat sich in Kalifornien mit Schlafforschung beschäftigt, und ich würde gern hören, was er über Lincolns Träume zu sagen hat.«
    Ich stellte den Kaffee an und versuchte Annie anzurufen. Niemand ging ran. Ich fand ein Tablett und stellte Styroportassen, den Sahnespender und die Zuckerschale darauf. Ich wählte noch einmal Annies Nummer. Wieder keine Antwort.
    Sie schläft, sagte ich mir. Ihr Unbewußtes versucht den REM-Schlaf nachzuholen, den sie versäumt hat, als sie unter Elavil stand. Diese Erklärung klang genügend plausibel. Als Richard das Elavil bei ihr abgesetzt hatte, hatte sie ein ›Traumgewitter‹ gehabt, das war alles. Die toten Unionssoldaten und das Pferd mit den abgeschossenen Vorderbeinen bedeuteten nicht mehr, als daß ihr Unbewußtes verlorene Zeit aufzuholen versuchte. Sobald ihr Traumdefizit aufgefüllt war, würde sie aufhören, von verlorengegangen Botschaften und Springfield-Gewehren zu träumen, und es bestand überhaupt kein Grund, sich Sorgen zu machen.
    Aber ich hatte sie gefragt: »Wann hat Richard das Elavil bei dir abgesetzt?«, und sie hatte geantwortet, das sei gewesen, nachdem die Träume mit einemmal klarer und weniger erschreckend geworden waren, und nicht vorher. Außerdem hätte das ›Traumgewitter‹ nur einige Tage lang dauern sollen. Annie hatte ihren Traum über Antietam geträumt, mindestens zwei Wochen, nachdem Richard das Elavil abgesetzt hatte. Und sie hatte mehr als ein Jahr lang von toten Unionssoldaten geträumt.
    Brouns Kater war mir nach unten gefolgt. Ich sah im Kühlschrank nach, was der Partyservice zurückgelassen hatte, und fand eine Platte mit durchweichten Crackern, die mit Krabbensalat belegt waren. Ich stellte sie auf den Boden und versuchte noch einmal Annie anzurufen, und dann ging ich mit dem Tablett nach oben.
    Sie sprachen gerade über prodromale Träume. »Ein Dr. Gordon hat vor einigen Jahren

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