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Lincolns Träume

Lincolns Träume

Titel: Lincolns Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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interessante Dinge zu sagen.«
    »Über Lincolns Verstopfung oder über das Auspeitschen seiner Patienten?«
    »Über die im Physischen begründete eigentliche Bedeutung von Lincolns Träumen.« Er ließ sich in den Ledersessel fallen. »Und über die Trägheit beim Träumen, wie wir einen Haufen unverbundener Bilder nehmen und daraus einen zusammenhängenden Traum machen.«
    Unverbundene Bilder. Ein Hausschuh, ein rotes Wollhemd, ein Pferd mit abgeschossenen Vorderbeinen. »Ich finde, das war alles nur Gewäsch«, sagte ich.
    »Jeff, geht es dir gut? Du wirkst irgendwie durcheinander, seitdem du aus Virginia zurück bist.«
    »Ich bin einfach nur müde. Ich habe mich noch nicht wieder von der Reise erholt«, sagte ich, und dann fragte ich mich, warum ich nicht einfach sagte, nein, mir geht es überhaupt nicht gut. Ich bin krank vor Angst. Diese junge Frau, die Sie bei dem Empfang kennengelernt haben, träumt von Dingen, über die sie unmöglich etwas wissen kann. Das könnte ich Dr. Stone nicht sagen, aber Broun bestimmt.
    »Hast du letzte Nacht geschlafen?« Er saß so da, wie Dr. Stone gesessen hatte, die Füße flach auf dem Boden und die Hände auf die Lederarmlehnen des Sessels gelegt, und beobachtete mich.
    »Sicher. Warum?«
    »Ich dachte, daß du vielleicht… als Richard vom Institut aus anrief und mit mir sprechen wollte, kam mir der Gedanke, daß du vielleicht bei ihm in Behandlung wärst, und dann hast du Dr. Stone all diese Fragen über Elavil gestellt, ob es Alpträume hervorruft. Ich dachte, er hätte dir vielleicht irgendwelche Beruhigungsmittel verschrieben.«
    »Nein«, sagte ich. »Ich nehme überhaupt nichts. Und ich habe keine Alpträume.« Aber Annie hatte welche. Und jetzt war die Gelegenheit, es ihm zu erklären, mein Verhalten und das von Richard, und ihm von Annies Träumen zu erzählen. Der Kater sprang mit einem Satz auf den Schreibtisch, genau in Brouns Kaffee. Ich hechtete nach der Tasse und gleichzeitig nach Brouns Papieren. Broun stemmte sich aus dem Sessel hoch und kam herüber. Ich brachte die Papiere in Sicherheit.
    »Broun«, sagte ich, aber er hatte den Kater beim Genick gepackt und setzte ihn gerade auf den Boden. Er sperrte ihn wegen seines jämmerlichen Geschreis aus und nahm wieder im Sessel Platz.
    »Ich bin froh, daß es dir gut geht«, sagte er. »Ich habe mir wegen dir Sorgen gemacht. Wußtest du, daß Lincoln Schlafstörungen hatte? Nach Willies Tod? Ich glaube, er muß beinahe verrückt geworden sein.« Er blickte durch mich hindurch, als sei ich gar nicht da. »Er hat Willies Leiche zweimal exhumieren lassen, um sich sein Gesicht anzuschauen, wußtest du das?«
    »Nein«, sagte ich.
    »Armer Mann. Ich denke gerade an das, was du gesagt hast, daß man Lincolns Träume träumen könnte. Das wäre doch wundervoll, nicht wahr?«
    »Nein, das wäre es nicht«, sagte ich, wobei ich an Annie dachte. »Es wäre furchtbar«, aber offenbar hörte er mich gar nicht.
    »Als du diese ganzen Fragen darüber gestellt hast, ob man Lincolns Träume träumen könnte, mußte ich die ganze Zeit daran denken, wie wundervoll es für das Buch wäre, wenn du sie träumen würdest«, sagte er, immer noch mit unbestimmtem Blick.
    »Für das Buch?«
    »Stell dir vor, wenn du Lincolns Träume hättest, dann wüßten wir schließlich, was er wirklich dachte, was er wirklich fühlte. Das ist das, wovon jeder Schriftsteller träumt.« Er klatschte mit den Armen auf die Lehnen und stand auf. »Jeff, ich möchte, daß du für mich nach Kalifornien fliegst.«
    »Nein.«
    Endlich blickte er mich an, und seine scharfen Augen nahmen alles in sich auf, so wie sie es am Abend des Empfangs getan hatten. »Warum nicht?«
    Das Telefon klingelte. Ich riß den Hörer an mich, warf die Kaffeetasse um, wollte, daß es Annie war, und hoffte verzweifelt, sie wäre es nicht. Ich wollte in Brouns Gegenwart nicht mit ihr sprechen. Vor einer Minute hatte ich ihm noch alles erzählen wollen. Er meinte, Dr. Stone habe ›einige interessante Dinge zu sagen‹ gehabt, nämlich daß Träume nur aus unverbundenen Bildern bestünden. Er glaubte, es wäre wundervoll ›für das Buch‹, wenn ich Lincolns Träume träumen würde.
    Er ist nicht so wie Dr. Stone, sagte ich mir, oder so wie Richard. Er ist immer nur nett zu dir gewesen. Wenn du ihm von Annie erzählst, wird er sich Sorgen machen wie du, er wird tun, was er nur kann, um ihr zu helfen. Vielleicht, dachte ich, und vielleicht würde er sie auch nur mit seinen hellen

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