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Lincolns Träume

Lincolns Träume

Titel: Lincolns Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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tun gab, doch das sagte ich ihr nicht. »Ginge es vielleicht am Abend?«
    »Morgen ist Sonntag. Könnten Sie morgen vorbeikommen?«
    »Natürlich«, sagte ich.
    »Wissen Sie, wie Sie hierherkommen?« sagte sie. »Wir wohnen außerhalb der Stadt.« Während sie mir den Weg beschrieb, blätterte ich erneut durch den Branchenteil. Ja. Da hatten wir ihn, Dr. Henry Barton, Doktor der Veterinärmedizin. Behandlung ausschließlich großer Tiere. Kein Wunder, daß seine Frau hatte wissen wollen, ob es sich um ein Pferd handelte.
    Ich legte das Telefonbuch in die Schublade zurück, hob die Broschüre des ›Historischen Fredericksburg‹ auf und nahm sie in Annies Zimmer mit. »Ich kann mich mit Dr. Barton nicht vor morgen treffen, also haben wir den ganzen Tag für uns. Was willst du sehen? Mary Washington hat hier gelebt. Wir könnten das Haus besichtigen. In ihrem Schlafzimmer gibt es einen Spiegel, der…«
    »Ich hätte nicht mit dir herfahren sollen«, sagte sie. Sie saß auf dem Himmelbett. Es hatte eine grünweißgesprenkelte Musselintagesdecke mit gekräuseltem Volant. Annie hatte ihre Hände rechts und links flach neben sich auf die Decke gelegt und versuchte, nicht an den Musselinblumen zu zupfen, wie sie es mit Brouns afrikanischen Veilchen getan hatte. »Als ich anfing, diese Träume zu träumen, hatte ich solche Angst, daß ich nicht mehr wußte, was ich tun sollte. Ich hatte Angst, nachts allein zu Hause zu sein, und Richard hat versucht, mir zu helfen…«
    Und es war einfach passiert.
    »Ich bin nicht Richard«, sagte ich. »Ich weiß nicht, welche Vorstellungen du von mir hast, aber ich habe dich nicht für ein vergnügliches Wochenende auf Brouns Kosten hier heruntergeschleppt. Ich habe dich hier heruntergebracht, weil du vor Richard davongelaufen warst und weil ich dachte, das hier wäre eine sicheres Versteck für dich. So ist das. Ich bin hier, um die Druckfahnen von Die Bürde der Pflicht zu lesen und mit einem Typ mit langen Gliedern und großen Ohren zu reden. Ich habe eine Suite gemietet und uns unter falschem Namen eingetragen, weil uns Richard so nicht anrufen und herausfinden kann, daß wir hier sind, aber wenn du ein Einzelzimmer willst, kann ich…«
    »Das ist es nicht«, sagte sie und zerknautschte die Decke mit ihren verkrampften Fingern. »Ich meinte nicht, daß du… die Suite ist prima, Jeff. Ich bin froh, daß du keine Einzelzimmer genommen hast, weil ich nachts jemanden um mich haben muß. Und du solltest Richard für das, was passiert ist, keinen Vorwurf machen. Es war meine Schuld. Ich hätte mich nicht mit ihm einlassen sollen. Es hat alles nur noch schlimmer gemacht.« Sie ließ die Decke los und blickte zu mir auf. »Die Träume haben Richard Angst eingejagt. Er fürchtete, daß sie mir schaden würden, und deshalb versuchte er, sie zu beenden, aber das durfte ich nicht zulassen. Ich habe den Träumen gegenüber eine Verpflichtung.«
    »Und du befürchtest, ich könnte ebenfalls Angst davor bekommen und anfangen, dir Thorazin ins Essen zu tun. Ich habe dir doch schon gesagt, ich bin nicht Richard.«
    »Mir geht es gut. Das Thorazin ist fast schon aus meinem Körper heraus. Ich spüre das. Ich fühle mich schon viel besser. Es gibt keinen Grund dafür, einen Arzt aufzusuchen. Er wird versuchen, die Träume zu unterbinden. Er wird mir irgendein anderes Medikament verschreiben.«
    »Ich habe nichts davon gesagt, daß du zu einem Arzt gehen solltest«, sagte ich hilflos, und dann wurde mir klar, daß ich es doch getan hatte. »Du meinst Dr. Barton? Das ist der Typ, den ich für Broun interviewen soll. Er hat Akromegalie, die gleiche Wachstumsstörung, die Lincoln hatte, und er ist nicht einmal ein richtiger Arzt. Er ist Veterinär. Als ich bei ihm anrief, fragte mich seine Frau, ob ich ihn wegen eines Pferdes sprechen wollte.« Ich versuchte ihr zuzulächeln. »Ich weiß, daß du diese Träume träumen mußt. Es ist meine Pflicht, auf dich aufzupassen, während du das tust. Ich verspreche dir, ich werde nicht versuchen, etwas gegen die Träume zu unternehmen.«
    »Okay«, sagte sie. Sie glättete die Decke dort, wo sie sie zerknittert hatte.
    »Wie wär’s jetzt mit einem Frühstück, und dann statten wir den Highlights von Fredericksburg einen Besuch ab? Bei Mary Washington gibt es diesen Spiegel, zu dem die Leute in Scharen herbeiströmen.«
    »In Ordnung«, sagte sie lächelnd. »Wer war Mary Washington?«
    »Keine Ahnung«, sagte ich und blickte auf den Prospekt. Ich hatte ihn zu

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